Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
Vom Netzwerk:
mich immer ihrer Führung überlasse u. nicht auf die Strecke achtgebe. Etwa 4 ½ km., ich ging 5 / 4 Stunden daran. Früh in der kühlen Morgenluft seit langer Zeit wieder die anginösen Schmerzen. Schöne Beleuchtungen der Landschaft, Dunst, der Himmel teils schwer bewölkt, teils blau; beim Rückweg 10–nach 11 h. hübsches Sonnenglänzen, hellgrüne Laubstreifen vor dem Nadelwald, leuchtende Kirchtürme. Der Hinweg friedlich, dann schon in Kühbach u. nachher wiederholt das schwere Ziehen der Verbände. Alles Sinnliche ist indicibel 5 : wie tönen die Verbände? Ist es ein Rauschen, Brummen, Knattern, Schwirren? Etwas von all diesem u. doch etwas ganz für sich Seiendes.
     

 
    Mittwoch Vorm 25. April .
     
    Erst einmal vergessene Einzelheiten, so wie sie mir eben einfallen.
    Habe ich zur Schwaitenkirchener Landschaft die plumpen Stangenvierecke der Hopfenpflanzungen erwähnt mit den schräg nach außen geneigten Stützen der Schmalseiten? –
    Am Aufruf * Hitlers war noch besonders erschütternd der Befehl, sich keinem unbekannten Offizier, der zum Rückzug auffordere, zu fügen, den Mann vielmehr festzunehmen oder umzulegen. Angst vor den Leuten der * Seydlitz u. * Paulus oder vor der imitatio Pauli 1 in den eigenen Reihen? –
    Der Ausbilder der Hj-Jungen hier sagte, als von Weitermarschieren die Rede war: Egal, wo uns die Amerikaner schnappen! –
    In Kühbach selber war ich gestern genau eine Stunde, von 9–10. Am Ortseingang kam mir zu Rad eine junge Bäuerin entgegen, die mich auf dem Hinweg überholt hatte. Sie rief mir zu: Ka Brod gibt s net. Danach traf ich aber eine Frau, die in ihrem Kescher ein rundes Brod trug. Ich gin in die Klosterbäckerei. Die Tür war verschlossen, durch einen Schalter vom Hofdurchgang her aber sah man in den großen Verkaufsraum, in dem allerhand Bewegung war. Hinter mir stellte sich am Schalter eine junge Frau auf, die bitterlich klagte, sie hätte für ihre Kinder nichts zu essen, sie sei mit ihnen im letzten Augenblick aus Augsburg hinaus. Endlich kam von innen her ein kleines Mädel an den Schalter u. öffnete uns die verschlossene Tür. Innen in riesigem Raum große, meist Militär-, Schlange vor einem mit vielen runden Broden belegten Brett. Eine dicke Frau verteilte, schnitt Marken ab, schalt, kassierte, commandierte. Ein hagerer Bäcker im Wollhemd mit Mütze, mehlbestaubt, trat grob abwehrend auf mich zu: Es gibt ka Brod net! Ich, halb wirklich erbittert, halb schauspielernd, legte ihm die Hand auf die Schulter u. schrie: []Ich muß Brod haben, Sie dürfen es nicht verweigern, ich geh sofort an die Behörde ... Die junge Frau accompagnierte: meine Kinder hungern! Der Bäcker verschwand, ich brüllte auf die dicke Frau ein: Ich laufe eine Stunde weit her, ich bin doch ein alter Mann (hier riß ich den Hut herunter), meine * Frau ist leidend, wir sind dreimal evakuiert, wir sind ausgebombt, man darf uns doch nicht verhungern lassen, Sie müssen uns Brod geben ... Die junge Frau accompagnierte, die Soldaten wurden unwillig mitleidig aufmerksam, die Dicke gab mir ein 3
tb
-Brod heraus – (Marken hatte ich noch für 6
tb
da). Nach erobertem Brod ging in in einen Laden, der sich bald nach mir füllte. Dort war eine freundliche Frau, die mich beriet. Ich bekam von ihr eine Schachtel Streichhölzer (die fast so rar sind wie Rauchzeug), ein Stück Markenseife, ein bißchen Butterschmalz u. ganze 4
tb
Zucker . Zucker wird nur an Flüchtlinge ausgegeben u. ist in allen andern Familien unendlich knapp. (Bei uns waren die Marken seit langem aufgespart u. seltsamerweise nicht verfallen.[)] Damit hatte ich einen großen Tauschwert in der Hand, von dem wir einiges gleich am Abend bei der Gastwirtin, der * Frau Wagner, einsetzten. Der aufgerufene Käse im ganzen Ort unauftreibbar, der aufgerufene Reis ebenso, Wurst ausverkauft, erst Donnerstag Nachmittag wieder zu haben. Butter sollte es in einem weiter auswärts gelegenen Haus geben. Ich war mit der Augsburgerin wieder zusamengetroffen, wir wanderten zum Butterhaus. Ein freundlicher alter Bauer: die Frau sei Butter holen mit dem Handwagen nach Aichach, müsse bald zurück sein, wir sollten in der Stube warten. Wir stellten unsere Taschen ab, fragten inzwischen (mit negativem Erfolg, s. o.) beim Schlächter an, warteten nachher noch eine Weile in der sich füllenden Stube. Schließlich kam die Hausfrau mit ihrer Ladung, u. ich bekam 200 gr. – Beim Warten, beim Einkaufen u. beim Unterstehen vor einem tief brummenden Verband

Weitere Kostenlose Bücher