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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Flamensbeck u. in der Schule erkundigt, ob wir schon in unsern Wald könnten. – Ja, wir könnten, es sei alles ruhig. Am Ortseingang trafen wir ein Häufchen junger Leute in Militärhosen u. = stiefeln, Civiljacke, mit Rucksack u. Militärtornister, mit Hut u. Militärmütze. Wo sie hin wollten? – Hoam! in die Nürnberger Gegend. Sie machten auf eigene Faust demobil, sie wollten auch nicht mehr gefangen werden, sie zogen die breite Straße durch den Wald auf Halsbach zu. Die Straße war unendlich zerfahren u. zerstampft. Erst waren dort die deutschen Wagen herausgekomen, die wir vorgestern dort beim Bivouakieren angetroffen hatten, dann waren die amerik. Panzer dort durchgezogen. Am Waldausgang hatte es noch ein kurzes Gefecht mit einem letzten kleinen Trupp deutscher Infanterie gegeben. Wir fanden an den Wegrändern lange Streifen von Mg-Hülsen. * Eva nahm sich einen solchen Streifen als Gürtel mit. (Der junge * Asam sagt, es sei ein deutscher Streifen, dem Fundort nach möchte ich ihn eher für amerikanisch halten.) Überall lagen in Menge die schönen Tannenstämmchen, mit denen man die Wagen getarnt hatte. Dazwischen leere Conservenbüchsen. Einmal eine verlassene Protze ... Überall noch Stan[n]iol. In einer jungen Tanne, von der Seite her durch den herunterhängenden Ast eines ganz gebeugten hohen Stams gestützt ein topfartiges Nest mit 3 blaugrünen Eiern drin: auch im Nest, wohl schon zu seinem Bau benutzt, ein Streifen Stan[n]iol. Über uns, wie in den früheren Tagen, zwei Flieger, aber nicht mehr zu fürchten: auf das von ihren Leuten besetzte Land werden sie nicht schießen. Aber in der Ferne noch immer Kanonade – der Krieg ist noch nicht aus, wir wissen noch nicht, was komt, u. bei aller Seligkeit, die eigentliche Gefahr hinter uns zu haben, macht uns doch noch jedes ungewohnte Geräusch betroffen; einmal glaubten wir Panzer rollen zu hören u. traten hinter Bäume. Beim * Flamensbeck beim ausserordentlichen Mittagessen – es ist unvorstellbar, welche Mengen an fettem Schweinefleisch, Knödeln[,] Kartoffelsalat mit fettester Sauce ich verdrücke – außerordentliche Erregung: ein amerik. Auto ist im Dorf gewesen, der erste * Bürgermeister (der dicke städtische Mann, mit dem ich nur wenige Worte gewechselt habe) ist verhaftet worden. Er sei etwas schroff gewesen, sagen Flamensbeck u. Asam; u. Fl. versichert immer wieder (mit innerer Angst), für seine eigene Person fürchte er nichts, er habe nie jemanden bedrückt, die Ortseinwohner sollten für ihn Zeugnis ablegen. Ich versichere ihn, daß er wirklich nichts zu fürchten habe, er könne sich auch auf mich berufen, meine Bücher stünden in jeder amerik. Univ.-Bibliothek, ich würde für ihn eintreten. Er läßt sich meinen Namen aufschreiben. Dies war wohl der Augenblick, in dem die eingetretene Wendung mir am stärksten bewußt wurde. Auf mich, den Gehetzten, Galgenbedrohten, den Bespuckten, soll sich der Ortsbauernführer, der Blubo-Pg, stützen u. berufen! .. Indem rief * Asam: Draußen geht der * Herr Pfarrer .. Herr Pfarrer, der Herr Professor komt gleich zu Ihnen heraus. Draußen stand ein sehr großer, sehr dicker schwerer blonder Herr in Soutane. Freundliche Begrüßung, er werde sich freuen, mich morgen oder übermorgen bei sich zu sehen, aber jetzt müsse er gleich amtlich nach Reifersdorf, 1 wohin man den verhafteten ersten * Bürgermeister gebracht habe. Ich sagte dem Pfarrer noch, er möge dem geängstigten Flamensbeck Mut zusprechen, ich selber wolle für den Ortsbauernführer eintreten ... Als ich dann zum Schreiben herunterkam, fand ich * Tiroler, seine * Tochter u. eine junge Bäuerin vor. Ich erzählte von der Verhaftung des ersten Bürgermeisters, u. alle drei, besonders die junge Bäuerin, brachen in einen förmlichen Triumph-, Haß-u. Rachegesang aus. Das habe man sich denken können, daß der auf derer Listen stünde, der habe es verdient. Mit der Pistole habe er die Leute bedroht, er habe es allzu arg getrieben, er habe den gutmütigen Flamensbeck oft ausgeschimpft wie einen Schulbuben. Als Offizier des ersten Weltkriegs habe er sich hier einen Hof gekauft, unter den Nazis sei er groß geworden, wo sein Geld hergekomen habe man nicht gewußt, zum Bürgermeister habe er sich selber gemacht, nun möge er all die Bedrückungen, die er aus geübt geübt, büßen. Es ging lange Zeit in diesem Ton weiter. – Alle haben sie die Partei satt, alle haben sie sich bisher gefürchtet u. fühlen sich nun erlöst. Aber Flamensbeck

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