Klemperer, Viktor
bleibt doch dabei, daß das Program gut gewesen u. nur schlecht ausgeführt worden sei, daß * Hitler selbst es gut gemeint u. auch anfangs den Bauern wirklich geholfen habe. In diesem Punkt pflichtet ihm auch sein Schwiegersohn * Asam bei. Es seien so viele Höfe entschuldet worden. Beide aber werfen sie der Partei Grausamkeit, Tyrannei, Religionsfeindlichkeit vor. (Das Cruzifix im Asambunker!)
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Ich las das erste Drittel vor u. dann den Rest colla coda dell occhio für mich:
* Bruno Brehm: Die sanfte Gewalt, Roman,
Copyright 1940.
Von Brehm habe ich in Dresden einmal angeblättert einen Band einer Weltkriegs = Trilogie 1 sub specie Austriae 2 Apis u. Este (noch immer nicht wissend, was die Titelworte bedeuten 3 ). Daraufhin glaubte ich trotz der Warnung der * Frau Steiner, der Roman werde leserlich sein. Aber trotz einiger interessanter Seiten widert er mich doch an. Er besteht aus lauter Stilbrüchen, Widersprüchen in sich, Unehrlichkeiten, erzwungener u. clichierter Komik, Rührsamkeit u. Poesie. Ein * Raimundmärchen, 4 eine Operette, ein Schwank – alles das zum breiten Roman ausgewalzt, mit realistischen ernsthaft modernen Elementen durchsetzt. Bald soll man es als Satire auffassen, bald als vollen Ernst, bald als poetisches Spiel, es schwankt zwischen alledem u. verdirbt eins durch das andere. Die Raimundsche Art, sich poetisch u. hochdeutsch auszudrücken, ist mir schon bei Raimund in einfachsten Verhältnissen des populären Feenspiels peinlich, seine Art des Humors schon in diesen einfachsten Gegebenheiten zu platt: u. damit füllt nun Brehm 400 Seiten eines oesterreichischen Offiziersromans aus dem Jahre 1881. Und dazwischen setzt er ernsthafte Betrachtungen über den Zerfall des Nationalitätenstaates, über die Armut der Offiziere, das Elend des zu späten Heiratenkönnens, etc über die beginnende sozialistische Strömung usw. Der gute ernsthaft schwerblütige u. der gute leichtherzige Offizier u. ihre Liebesnöte. Und die 3 ½ Millionen-Erbschaft des guten Leichtfertigen, u. wie alles nach x humorvoll sein müssenden Wirrnissen gut ausgeht. In dieses Operettenspiel hineingesetzt ganz schwankartig, allzubreit, ein winziges bißchen an die * Lettres Persanes streifend, 5 aber noch mehr * Nestroy- als Raimundnah, 6 der Besuch des Hawaikönigs Kalokana in Wien. Am scheußlichsten aber das poetische bis zum richtigen Poème en prose 7 ausartende, pretiöse u. abgelatschte weibliche Standgericht am Schluß, worin die Frauen über die beiden Männe Offiziere zu Gericht sitzen u. alles in Liebe ausgeht. – – Daß diese Glorifikation, Ironisierung, Verurteilung u. Beklagung Altwiens auch den Stempel des 3. Reiches erhalte, dafür ist in ganz wenigen Nebenbeibemerkungen über gierige u. lauernde Judenaugen, über polnische Juden, die eine größere Zukunft vorbereiten, über ein notwendiges Pogrom in allen Redactionen etc. gesorgt. Einmal schleicht sich auch das Wort stur ein.
19 h. Küche . Zwischen Sturmstößen u. Regengüssen Aufhellungen bei gewitterblauem Himmel; der Eingang in das Halsbacher Waldstück, Fahrweg unter hohen Stämmen auf die helle Wiese mündend, noch theatralischer als sonst. Hier kommt uns am Spätnachmittag tastend, zögernd, mißtrauisch eine Gruppe von 3 jungen deutschen Soldaten, alle in Fliegerdeckungs-Umhängen ohne Gewehr entgegen. Einer hat eine Landkarte, alle drei haben gute Gesichter, fraglos aus guter Familie, vielleicht Studenten. Sie sind aus Ingolstadt noch gerade hinausgekomen, sie möchten in der Richtung auf Landsberg durch, sie möchten nicht gefangen werden. Ob der Amerikaner im Dorf sei. Nein – aber in Kühbach, wohl auch in Aichach ... Sie sollten doch sehen sich Civil zu verschaffen, der Krieg sei ja doch fast zuende. Wir haben es überall versucht, überall umsonst. – Wir (sagt E * ) besitzen nur noch, was wir am Leibe haben, wir können Ihnen nicht helfen. Wir verweisen sie an den * Ortsbauernführer, aber er werde Angst haben. – Die geduckten und hilflosen drei Soldaten waren wie eine Allegorie des verlorenen Krieges. Und so leidenschaftlich wir den Verlust dieses Krieges ersehnt haben, u. so notwendig dieser Verlust für Deutschland ist (u. wahrhaftig für die Menschheit) – die Jungen taten uns doch leid. – An den Bivouacstellen im Wald hatten wir Vormittags Stapel geschlagenen Brennholzes gesehen; wir wollten es jetzt sameln, aber andere waren schon vor uns dagewesen u. wir fanden nur noch Reste. Ich las dann eine Weile auf unserm
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