Klemperer, Viktor
jüdischer * Student 1 den deutschen * Partei-Agenten der NSDAP erschossen. Im Augenblick, da hier das Olympia Spiel 2 stattfindet, wird alles totgeschwiegen. Hinterher wird man sich an die Geiseln, an die deutschen Juden halten. So liegt es im Allgemeinen. Und in meinem persönlichen Fall: ich bin der einzige Jude in der Gemeinde Dölzschen, mindestens der einzige Prominente. Der * Bürgermeister Kalix hat mir schon Schwierigkeiten gemacht u. mich * Praetorius gegenüber beschimpft, als wir im Somer anbauten. Ich verschandele die Gegend mit Holzhaus u. Dachpappe. Jetzt im Fall der Garage ist es schlimmer. Hier am Kirschberg wurde vor etlichen Wochen eine Garage, üblicher Schuppenbau mit Flachdach fertig. Mir wird das verweigert. In diesem Jahr darf nicht mehr verschandelt werden; man verlangt ein spitzes Schmuckdach, das uns Raum u. Aussicht nehmen würde. Ich sagte auf der Gemeinde einem Schreiber – übrigens ganz ruhig in Stimme u. Haltung: Ich verschandele nicht. Dann unterbleibt eben Bau u. Arbeitsbeschaffung. Er: Sie könnten allenfalls mit dem Bürgermeister reden, aber ich glaube nicht ... Ich: Ich bitte um nichts, was mir selbstverständlich scheint. Auf Wiedersehen. – Anderntags gehen der * Maurermeister u. der * Zimmermann zum Baumeister * Bürgermeister u. bitten ihn, ihrer Arbeit wegen. Er läßt mir sagen: ich wüßte wohl nicht, was gespielt werde, ich sei hier Gast, u. er hätte Lust mich auf eine Nacht in Schutzhaft zu nehmen. Bericht des Zimmermams Lange (der vor einigen Wochen Haussuchung u. Bedrohung auf der Polizei hatte: Denunziation, ein wissenschaftliches Buch bei ihm gefunden, daß ihm der ausgerissene Jude * Blumenfeld hinterlassen hatte – nach Hilfe beim Einpacken oder so). – Ich bin mir völlig bewußt, daß mein Leben durchaus in Gefahr ist. – Die ganze Auto-Sache erscheint mir immer irrsinniger. –
Auf dem Postplatz spricht mich ein Herr an. Erkennen Sie mich nicht? * Dr. Kleinstück, 1 Rector des Vitztum-Gymnasiums. Ich ging schon neulich an Ihnen vorbei, Sie sahen mich u. sahen weg. Ich fürchtete, Sie sähen weg, weil Sie meinten, ich würde Sie nicht grüßen. Deßhalb rede ich Sie heute an. Wie geht es Ihnen? – Sein Verhalten rührte mich, ich gab Auskunft u. fügte hinzu: Übrigens ist mir erzählt worden, Sie, Herr Rector, seien Obernazi. Er: []Ach Gott, man macht es den Leuten nie recht, von Tag zu Tag weiß ich nicht, ob ich morgen noch im Amt bin. Meine Schwester ... Was es mit ihr auf sich habe? – Sie war Privatsekretär des * Generaldirectors Somer, eines jüdischen Großindustriellen. Sie hat 6 Wochen in Untersuchungshaft gesessen. – Das ist der obernazistische Leiter des Vitztum-Gymnasiums.
Zu den Sorgen u. ständigen Herzbeschwerden trat große Zahnquälerei. Ich konnte mich zu einer fragwürdigen Resektion nicht entschließen u. ließ den kranken Zahn herausnehmen. Es ging nicht ohne ein bißchen versagendes Herz u ohne böse Spritzennachwirkung.
– Letzten Sonntag waren * * * Isakowitze unsere Abendgäste. * Der Mann ist durch Sorge u. Unsicherheit schwer mitgenomen; über seine Verzweiflung hinweg erzählte er grausam unanständige Witze, er sagt selber: aus Verzweiflung. Etwa 14 Tage vorher waren * Dressel u. * Annemarie bei uns. Sonst ganz einsam.
Ich tippe u. feile am * Voltaire, * Eva streicht am Musikzimmer. Und immer wieder Auto-Angebote u. Garagebaupläne. Amüsant der Verkäufer * Isandoro, dessen Florentiner Geschlecht Isidoro heißt. Vom Vater her Italiener, von der Mutter griechisch, wir vermuten, eine starke Dosis Judentum. Er ist Angestellter bei * Strobach, bemüht sich um uns, ist ein sympathischer Mensch. Der * Vater hier im Tabakhandel; der * Sohn hat in Italien Militärdienst gemacht u. dabei erst Italienisch gelernt. Auch sonst sieht man in eine andere Welt durch das Autosuchen. Aber die Sache ist doch heller Wahnsinn u. Verzweiflung wie * Isakowitz unanständige Witze.
Abends lese ich vor: * Hervey Allen: Antonio Adverso. 1 Das lenkt ab. Das Stück ist mehr als ein bloßer Abenteurer-Roman. Ich kome darauf zurück. –
Keine Nachricht von * Georg, seit October. Er wollte emigrieren u. mich vorher noch persönlich sprechen.
6. März 36
Im October schrieb * Georg, er wandere aus, er werde mich vorher noch sehen. Ich schrieb zurück, ich gratulierte zu Neujahr, ich schrieb vor 14 Tagen nach Freiburg. Keine Antwort. –
Am 3. III waren nach monatelanger Pause * Susi Hildebrandt u. * Ursula Winkler (meine letzten
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