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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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gewissenlosesten Geschöpfes. Wo sich doch der Adel bemühte, wo er * rousseauisierte etc. – Das Werk als Ganzes kein reiner Genuß. So veraltet aber im Allegorischen, so modern in der geistigen Erkrankung des Arztes, der 18 Jahre in der Bastille geschustert hat. – Wieviele Thränen gehören noch 1859 zur Selbstverständlichkeit! Und wie selbstverständlich ist noch der kindliche Gottglaube!
    * Thornton Wilder: Dem Himmel bin ich auserkoren. 1 Der amerikanische * Don Quijote 2 – hier hat das Waschzettel-Cliché recht. Ganz bedeutende Tragikomik, aber sehr bedrückend, u. schließlich so ganz Krankheits- u. Einzelfall, daß es zuletzt dichterisch doch kalt läßt. Aber ich war genau so gefesselt, wie von der ersten Sache des Mannes, die ich vor Jahren las, nicht mehr erzählen könnte u. nur noch als gewaltigen Eindruck bewahre. Die Brücke von 3 ..? Es war eine Art Novellen[-] oder Balladenkranz, eine Composition von etlichen ineinander geflochtenen ungeheuer lebendigen Schicksalstragoedien. Mir schien ein gläubiger Katholik zu schreiben. Das neue Buch zuckt halb mitleidig, halb staunend u. beneidend die Achseln über den unmöglichen u. beglückenden Glauben eines Sektierers, Gandhi = Anhängers, Apostels, Märtyrers, der fast zu Grunde geht, als sein Glaube widerlegt wird, u. der sich rafft, als er den Glauben wiederfindet. Übrigens ist der Held ein geschäftstüchtiger Reisender für eine Schulbuchfirma.
    * William Faulkner: Licht im August 1 Wahrscheinlich ein Kunstwerk – ich bin aber Abends zu ermüdet, um diesen überkünstelten Stil – zwischen Dos Pas * Dos Passos 2 u. * Joyce – zu ertragen. Ich schlafe ein, es erbittert mich. Man muß mir erzählen, zusamenhängend u. spannend. Der Faden darf nicht immer wieder reißen, sich verheddern, noch einmal reißen etc. Ich kam nicht über 50 Seiten hinaus. Das Einschlafen ist buchstäblich zu nehmen: mir wird die Zunge schwer, ich kann nicht weiter. Es ist für * Eva kein Vergnügen.
    * Ursula Parrott: Adieu! (Strangers May Kiss). 3 Ein Reißer, ein Schmachtfetzen, alles muß thränenvoll u. tragisch ausgehen, alle müssen im bösesten Moment Pech haben u. rührend sterben. Aber famos erzählt, u. ganz offenbar amerikanisches Leben u. Empfinden der Jetztzeit. Die Heldin – sie liebt durch Jahre den einen, der immer nur zeitweilig mit ihr schläft – ist etwa 1900 geboren, die altmodische Tante hat ihr Liebeserlebnis 1890 gehabt. Das selbständige Mädchen in New-York. Reichlich viel Sexualität. Offenbar bewußte etwas prahlerische Auflehnung gegen frühere Prüderie. Immerfort Bettscenen ohne Trauschein u. mit ihm. Vielfältiges Absehen von der einstigen For Forderung der Jungfräulichkeit. Gewollte Ruppigkeit u. Thränenströme. Dazu Alkohol bis zum tz. Überdruß. –
    Meine Gesundheit sehr schlecht. Das Herz, die Augen. Dazu Entzündungsschmerzen in Kopf, Schultern. Seit Wochen Quälerei beim * Zahnarzt. Morgen will er operativ vorgehen, eine Resektion; mir ist sehr übel zu Mut. (Und die Kosten!)
    – Die Auto = Sache bisher nur ärgerlich. Die Gemeinde chikaniert mich wegen des geplanten Garagenbaus. Ein Schuppen mit flachem Dach verschandelt die Gegend. Aber ringsum haben die Garagen flache Dächer! Aber dies ist eine Gelegenheit den Juden zu ärgern. Also ein Dach von 45° Neigung. Hundehütte, sagt E. Die Verhandlung oben im Gemeindeamt erregte mich aufs äußerste. Die ganze Hilflosigkeit u. Rechtlosigkeit meiner Lage drang auf mich ein. – Ein passender Wagen – ein neuer kostet zuviel – ist auch noch nicht aufgetaucht. Und immer wieder zweifle ich an Sinn u. Recht der ganzen Sache. Wir sind arm, unsere Zukunft ist ganz ungewiß, ich glaube immer öfter, nur noch kurzen, sehr kurzen Lebensraum vor mir zu haben, u. ich will 2 000 M. meiner Lebensversicherung an diesen Luxus wenden. Aber vielleicht ist es doch auch nicht ganz so unsinnig, wie es mir erscheint.
    Die politische Lage bedrückt mich immer mehr. Hoffnung einen Umschwung zu erleben ist kaum noch vorhanden. Alles duckt sich – die Gemeinheit triumphiert überall. Gestern B die prunkvollen Feiern des 30. Januar. Drei Jahre ! Es können 100 werden. –
    Ich copiere langsam u. feilend den * Voltaire. Manches gefällt mir daran, vieles nicht. Auch im Punkt meines Buches sinkt die Hoffnung tiefer u. tiefer.
     

 
    Dienstag 11. II 36
    Nach frühlingshaft mildem Winter plötzlich, seit zwei Tagen strenge Kälte, Morgens 10° Frost. –
    Die Lage immer dunkler. In Davos hat ein

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