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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Rede.
    * Marta auf der Rückreise von Prag sprach sich ungemein optimistisch aus. Dann kam * Martha Wiechmann als vox populi. Dann kam die unendliche Wahl Wahlpropaganda u. das Paktieren Englands. Meine Grundstimmung zu jeder Tagesstunde: ich erlebe keinen Umschwung mehr.
    Freundlicher Brief von * Georg aus Boston – aber aus Boston. Ich bin abgetan, abgefunden für ihn.
    Heute die dritte Woche des Garagenbaus . Die eigentliche Halle (wirklich eine Halle 7:3 m.) steht. Aber die Erdarbeiten, Schachtung u. Zufahrt verteuern alles ins (für meine Verhältnisse) Ungemessene. Wir werden nachher ohne jede Reserve dastehen. Das verursacht mir jeden Tag steigende Beängstigung. Auch an dem Auto selber habe ich immer nur für Minuten reine Freude. Die doppelte Sorge überwiegt. 1) die Kosten. Es hat sich herausgestellt, daß wir nicht 10 sondern 15 l. Benzin auf 100 km brauchen. Also doch übers Ohr gehauen. Steuer Versicherung u. einmalige Reinigung kosten monatlich zusamen schon etwa 66 M. Und ich habe 484 M. Ruhegeld. [2]) die ständige Sorge, als Fahrer kein Unheil anzurichten. Am 19. III stand der Wagen mit allen Papieren endlich zu unserer Verfügung. Seitdem fahre ich täglich mit * Michael, der nicht so vorsichtig ist wie * Luthe – (besuchte uns neulich!) – aber seine Sache ganz gut macht. Erst nach der langen Pause von zwei Monaten u. auf dem ungewohnt schnellen Wagen fuhr ich sehr schlecht, jetzt geht es wesentlich besser. Aber ich fürchte mich vor dem Alleinfahren u. der Verantwortung für * Eva. Sie macht jetzt die Fahrten mit. Die erste längere ging nach Niederwartha. Von der Landschaft sehe ich im Fahren nichts , der Blick hängt starr an der Straße. Auf der Rückfahrt von Niederw. hatte ich an der Habsburgerstr. den Moment des Einschlafens – cf. einliegenden Brief an * Walter Jelski. 1 Vorgestern eine Fahrt bergauf u. = ab durch enge Dorfstraßen in die Gorbitzer Gegend ging besser. Ich sah eine ungeheure untergehende Sonne, sonst nur Straße; gestern die kurvenreiche Fahrt nach Edle Krone ging sehr gut. Aber ich fühle mich keineswegs absolut sicher. Rückwärts fahren wird mir sauer, das Vorstellungsvermögen der Richtung fehlt. Lange gerade Chausseen beirren mich oft mehr als Curven. Die Bäume flirren, ich kome ihnen näher, Correktur widerum wirft zu weit nach links. Ich muß mich zur Langsamkeit zwingen. Bei all diesen Sorgen u. Ablenkungen geht die Tipparbeit am 18 Jh. schneckenartig weiter.
    Und immer die Entzündungs- oder rheumatischen Schmerzen in Kopf, Augen, Genick, Schulter, Arm, immer die Herzbeschwerden.
    Nun habe ich den Führerschein, das Auto, die Garage – u. fühle mich bedrückter als zuvor.
    Als ich das Auto übernahm stand sein Km.-Anzeiger auf 30 045 km. Gestern Nachm. mußte ich es leider dem * Michael für eine Fahrt nach Kamenz etc. lassen; er fuhr 130 km. Ich selber habe schon über 100 km. hinter mir. Gestern tankte ich das erstemal, ließ Luft auf den Reservereifen geben. Alles vorderhand Erlebnisse.
    Ich muß der Arbeiter halber vor 6 aufstehen, auch Eva beginnt zeitig. Immer tut sie mir leid, daß ich sie mit meinen Geldsorgen quäle, immer bin ich verzweifelt, daß alle Kostenansätze so weit u. immer weiter überschritten werden. Das Schuttabfahren, das Schachten usw. Imer wieder ein Mann mehr, Arbeitsstunden mehr usw.
    Zum Vorlesen wenig Zeit. Ein Zeitungsroman aus dem Circusleben, mehr Beschreibungen als Roman: * A. H. Kober Schöne Frau, nun ko m t das Glück 1 . Ein sehr schwacher * Warwick Deeping: Der Schicksalshof 2 . Offenbar Anfängerarbeit. Lyrisch, philosophisch, generalisierend, schwarz-weiß antithetisch: Leben auf dem Lande u. in Hausarbeit – mondänes Leben der Frau. Die Heldin, die bei ihrem Landmann das Glück findet, hat in der Stadt doppeltes Pech: ihr reicher Mann ist impotent, dann verspekuliert er sich auch noch u. erschießt sich. Inzwischen ist der erst verlassene Landmann durch Tod der Intermezzo-Gattin zum happy end frei geworden. * Dickens-Tradition: Frau 1. sterben zu lassen.
    Jetzt * Ludwig Hatvany Bondy jr. 3 ) Ghettoroman, fraglos von einem Juden, inhaltlich sehr gut, stilistisch unter allem Hund, der Gesinnung nach so antisemitisch, daß ihn unsere Regierung preiskrönen könnte.
     

 
    31. März Dienstag .
    Der ganze Complex: Garagenbau – Auto macht vorderhand unendliche Sorgen, Mühe u. Ärger. Vielleicht wird das alles später tragikomisch erscheinen u. wir werden dann Freude haben, vielleicht auch wird alles scheitern.

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