Klemperer, Viktor
fährt 10 30 hieß es dann. Nun stand man eine Stunde vor dem Haus herum. Es war hübsches Wetter, vielleicht 1° Wärme, ich fror sehr, aber unterhielt mich ganz gut mit den Leuten. Es war da ein Mann, dessen Lastautomobil, 110 Ps nachgewogen werden sollte, er zeigte seinen Motor, erzählte von einem Strafmandat, weil er auf leerer Landstraße keinen Winker benutzt habe: Der Ortsvorsteher brauchte Geld, er lag hie im Graben versteckt! – Ein anderer erzählte von seinem armen Freund: der Sachverständige meckert, mein Freund wird nervös, haut ihm eine rein – – der kriegt nie seinen Führerschein! Nach einer Weile sah ich * Trefftz vorbeigehen, dessen Villa dem Prüfungshaus gegenüber liegt. Wir unterhielten uns lange. (Ich glaube nicht, daß Sie je Ihren Posten wiederbekomen.
Wo soll die nächste Regierung das Geld hernehmen? Sie wird möglichst wenig ändern!) – Dann kam * Luthe mit dem Spezialwagen des Invaliden. Ich wurde hinten hineingequetscht, neben mich kam der Sachverständige, ein anderer als der uns mündlich geprüft hatte, ein dicker Mann, etwa 40, ziemlich herrisch u. brutal im Wesen. Er beanstandete den Wagen; er bekrittelte den Fahrer von Anfang an, als Luthe sich einmischen wollte, sagte er sehr autoritativ: Ich rede. Er ließ den Mann in die Stadt fahren, zum Elbufer hinunter, anhalten, zurückstoßen, weiterfahren. Mir war als würde einer vor mir guillotiniert u. ich sei der nächste. Das endete in der Polierstr bei * Strobach. Langes Palaver, der Ingenieur forderte eine Abänderung an der Bremse. – Nun endlich kam ich heran. Luthe hatte mich auf wenig Gas u. immer noch weniger Gas gedrillt, auf sanftestes Anfahren. Ich fuhr so sanft an, daß der Wagen nicht von der Stelle ging. So geht es nicht, sagte der Ing. hinter mir. Dann rollte der Wagen. Postplatz, Altmarkt, Johannstr., Rechts, zur Prager hinüber, gekreuzt, noch eine Schleife, zum Bahnhof hinaus, Bismarckplatz, Werderstraße. Es ging nicht eigentlich schlecht. Aber ich hatte Schmerzen über der Brust, u. Luthe stieß mir andauernd heimlich den Fuß vom Gashebel, u. * Lindner rief von hinten: Sie bleiben ja stehen, geben Sie doch Gas! Als ich mich schon außer Gefahr glaubte, bei der Werderstr: Halten, wenden![] Natürlich verwechselte ich wieder rechts u. links. Aber dann kam ich herum, u. der Ing. war ganz sanft. Er schien Mitleid mit meinen hohen Jahren zu haben. Zur Kulmstr zurück, ich hielt gut, war auch gut von einem letzten Halt an steigender Straße mit der Handbremse abgekomen. Eine Glanzleistung war es nicht – ich gebe Ihnen drin den Führerschein! – Ich war so entzwei, daß ich mich gar nicht freuen konnte. Ich fragte * Luthe, warum er mir immer das Gas weggenomen. Herr Professor – ich habe Blut geschwitzt – ich habe andauernd die Kupplung gehalten (Lernwagen mit zwei Kupplungen) – Sie fuhren durchweg zu schnell, Sie wären um keine Ecke gekomen. – Lassen Sie den Prüfenden ruhig schimpfen. Wegen langsamer Fahrt fällt man nicht durch; aber eine angestoßene Bordschwelle, u. Sie sind erledigt. Dann fuhr mich L. noch (ich ließ mich gern fahren!) zu * Isakowitz hinüber. Nach der Behandlung ging ich zum Postplatz u. kaufte eine Flasche Haute Sauternes. Abends feierten wir beide. Con amore. – Aber ich bin noch heute zerschlagen.
Und heute war der * Strobachvertreter * Isandoro hier. Der junge Mann hat schon recht: ein neuer Wagen wäre das vernünftigste. Aber das Geld. Wir schwanken sehr. –
Am 3. I waren wir mit * Gusti zusamen bei * * * Isakowitzen eingeladen. Es war sehr nett – aber leider Freitag Abend, wieder wurden Hüte hereingebracht, auch für den ahnungslosen * Karl W., u. * Dr Berlowitz, ebenfalls Zahnarzt, jüngerer Schwager I. s sang fabelhaft echt u. östlich ein langes Gebet. Das ging etwas auf die Nerven. – Einen andern Abend hatten wir * Gusti W. u. * Frau Schaps bei uns u. einmal waren wir bei Gusti. Dort sollen wir auch heute Abend sein. Sie fährt Montag für etliche Monate nach Dänemark.
31. Januar Freitag Abend
Vorgelesen in den letzten Wochen:
Dickens: Zwei Städte (worauf ich lange gespannt war). Gut in idyllischen u. humoristischen Einzelheiten, besonders auf der Londoner Seite. Gar kein Bild der Revolution. Geradezu mittelalterlich gebunden in dem ständigen Benutzen der Allegorie. Monseigneur, die Aristokratie schlechthin, statt einen Adligen oder etliche wahrhaft zu zeichnen. Ungeheuer einseitig in der Darstellung Monseigneurs als des ruchlosesten u.
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