Klemperer, Viktor
Kaulbachstr 65, da bekomen Sie Wohnung. – Ich will aber gar keine Wohnung, Sie sehen doch[,] mein Fall liegt anders, ich muß weiter, auf Anordnung der Militärregierung selber! .. Sie müssen zur Kaulbachstr 65, es gibt auch noch ein Wohnungsamt in der Reisingerstr. .. Ich will aber gar keine Wohnung ... Sie begriff nicht, sie war erstaunt, deroutiert, 1 der Kinoboy wurde ungeduldig. He is university s professor, he says ... Von oben herab: dreimal, viermal, fünfmal ohne Grobheit aber mit Kino-Impassibilität 2 : No pass (p e ss!) Kaulbachstreet sixty-five, Kaulbachstreet sixty-five. Dagegen war kein Ankomen, noch ein paar Sekunden länger, u. er hätte mich wieder am Arm gepackt u. zurückgeschoben. * Ès chambres des dames 3 werden wir darüber lachen, aber am Freitag Mittag in der Sonnenglut war es furchtbar. * E. wartete in einer schattigen Ecke; nun schleppten wir uns also weiter zur Kaulbachstr 65, weit draußen im Englischen Garten (parallel zur Ludwigstr). Ein wenig beschädigtes stattliches Gebäude. Am Eingang vor der verschlossenen Haustür warteten mehrere Leute, sprachen über Wohnungen. Ich fragte nach der Uhr, u. wann man öffne, u. ob hier nur Wohnung angewiesen werde. Antwort: es werde um 14 h geöffnet, es sei schon Zwei vorüber, Herr Dr * Neuburger, der den Schlüssel habe, komme aber oft später, er habe auf dem Rathaus zu tun, er erteile jede Auskunft. Ich verstand allmählich, daß es sich hier um die Betreuungs centrale (LTI!) alles Nichtarischen handle. Es war auch eine richtige Judenschule. Nach einer Weile wurde gefragt, ob nicht jemand einen Haken habe zum Öffnen der Haustür, dann könne man wenigstens drin warten. Der Dietrich fand sich. Das Innere des Hauses war mir nicht recht erklärlich. Später hörte ich, hier sei eine Dienststelle der Gestapo gewesen. Man saß u. stand jetzt – die Zahl der Leute vermehrte sich – in einem sehr breiten großen Gang, man sah auf zwei elegante offenstehende Badezimmer. Am Ende des Ganges lag dann hinter verschlossener Tür ein saal-oder hallenartiger als Bureau eingerichteter Riesenraum. An einem Tischchen im Gang installierte sich ein junges Mädchen mit einer Liste; in der Reihenfolge der Eintragungen sollte man nachher vorgelassen werden. Was aber nicht geschah. Von 2–4 Uhr saßen wir dort u. sahen dem Betrieb zu. Erst erschien ein Herr u. sagte, in Fällen, die Herrn Dr Neuburger nicht unmittelbar angingen, könne auch er Rat erteilen. Einer meldete sich, u. die beiden verschwanden im Saal für unendliche Zeit. Dann kamen irgendwelche Sekretärinnen heraus, unerhielten sich mit dem u. jenem, holten den u. jenen herein – man hörte Schreibmaschinen klappern. Dann hieß es, Herr Dr Neuburger 1 sei jetzt da, aber zuerst müsse er das Paar abfertigen, das den Hausmeisterposten bekomen solle. Es war jetzt ein Komen, Gehen, Durcheinanderwusseln. Ich fragte einen Herrn: Haben Sie sich nicht als Erster eingetragen, u. kam ich nicht gleich nach Ihnen? – Ja, aber man scheint sich nicht daran zu halten, es ist hier immer solch großes Treiben, ich war schon öfter hier. Schließlich wurde es uns zu dumm, wir gingen einfach in den Saal herein. Da wurde an verschiedenen Tischen, in verschiedenen Ecken teils verhandelt, teils sich begrüßt u. geplaudert. Ja, sind Sie wieder da, Herr Herz! Nein, ist das eine Freud! Sekretärinnen, der stellvertretende Herr, der Herr Dr * Neuburger – ich möchte taxieren: jüdischer Rechtsanwalt, 55 Jahre, etwa * Dr Salzburg 2 – waren durchweg in sozusagen unfixierter Aktion. Bald hier, bald da. Entschuldigen s einen Augenblick ... bei der nächsten Gruppe: also lieber Herr Herz ... bei der nächsten: Finanzielle Unterstützung? Er kann auf 40 M nicht herausgeben? Lassen s ihm die vierzig .... etc. etc. Ich geriet an den stellvertretenden Herrn, er wurde ausnehmend höflich, als er meine Geschichte hörte, brachte mich sofort mir Dr N. in Verbindung, wir erhielten Stühle an seinen Schreibtisch gesetzt, u. nun gab es eine lange u. teilnahmsvolle (nur eben von all jenen Abschweifungen des Mannes unterbrochene) Beratung. Ihr Resultat aber war trostlos. An Weiterbeförderung sei nicht zu denken, ehe nicht der Eisenbahnverkehr in Gang sei. Und nun gar nach Dresden in russisches Gebiet! In das Rathaus kome niemand herein. Er werde einen Brief an * Dr Maron schreiben, ich solle versuchen, diesen Brief durch einen Posten hinaufzuschicken, vielleicht käme dann Herr Dr Maron zu mir herunter u. wisse Rat. Aber vor
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