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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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allem müßten wir doch Quartier haben, die, ich weiß nicht mehr welche, -Schule sei näher gelegen, das Martinsspital weiter draußen, aber ein bißchen weniger kasernenartig, er schreibe uns besser einen Ausweis für das Martinsspital, aber jetzt müßten wir uns recht sehr beeilen, noch vor s Rathaus zu komen, ehe dort Schluß gemacht werde, es sei ja schon vier vorbei .. also, Herr Professor, alles Gute! ..Wir schleppten uns wieder zum Rathaus zurück, es standen nicht mehr so viel Wartende da, wie vorher. Ich bat in gräßlichem Englisch einen Posten, meinen Brief heraufzuschicken. Später hörte ich einen anderen Posten französisch sprechen. Ihn fragte ich, ob mein Brief befördert worden sei. – Ja, u. der Herr sei auch noch oben. Ich wartete weiter. Aber kein Bote erschien, der mich heraufholte, u. kein Dr. Maron, der zu mir herunter kam. Stattdessen sah ich, wie Beamte in Grüppchen das Rathaus verließen. Einmal ging * E an einen Herrn heran, ob er der Dr M. sei oder über ihn Auskunft erteilen könne. Vergeb lich ens natürlich .. Üßris .. in meines * Nichts durchbohrendem Gefühle 1 ... rettungslos in der Falle .. Wir schleppten uns, schleppen ist wahrhaftig keine Übertreibung, den unendlichen Weg über das Sendlinger Isar[-]Tor zum Ostfriedhof hinaus, an dem das Martinsspital liegt. Wir haben in all dieser Zeit keinen strapaziöseren Marsch-, Hunger-, Hitze-, Enttäuschungstag geha erlebt als diesen Freitag d. 20 Mai. Wir waren wirklich aus dem Paradies, dem irdischen: Unterbernbach, dem himmlischen unserer Hoffnungen u. unseres Herrengefühls, in ein neues Inferno gestoßen worden. Denn München in seinem jetzigen Zustand, u. dies ist wieder wirklich keine Übertreibung, München ist eine mehr als * danteske Hölle 2 .. Als wir hier nach 19 h ankamen, war E. mit ihren Kräften zuende. Immer wieder wurde ihr so schlecht, daß sie sich lang hinlegen mußte, auf das Sopha i m n Pför der Pforte, auf den bloßen Fußboden im Speiseraum. Die barmherzigen Schwestern – welchen Ordens? – mit riesigen weißen Hauben u. Schulterkragen – nahmen uns sehr freundlich auf, wir bekamen ein Glas Wein, E. bekam etwas Lavendelparfum ins Waschwasser, es gab noch ein leidliches Abendbrod für uns. Es wurde uns aber auch gleich gesagt, daß das Heim überfüllt sei u. wir nur provisorisch aufgenomen seien. Auf einem Gang lagen in ihren Betten aufgereiht ein halbes Dutzend alte Frauen, Kranke, dann ein Wandschirm, u. dann, isoliert in der Nähe eines offenen Fensters, standen, ebenfalls in Längslinie, zwei weitere Betten; die waren für uns bestimmt. Da wohnen wir nun, Gott weiß, auf wie lange.
    Der Rahmen der nächsten drei Tage ist nun durch die Hausordnung hier u. durch unsere langen Wege bestimmt. Man bekomt hier um ½ 8 einen Topf Kaffee, um 11 (als einzige sättigende Mahlzeit[)] Mittagessen, um ½ 6 ein sehr ergänzungsbedürftiges Abendbrod. (Unsere Vorräte gehen zuende, u. das Falkensteiner Hungern meldet sich wieder.) Wir haben uns also am Vormittag im Heim aufgehalten, im Speisesaal u. im Garten – die Pfingsttage über gab es noch um 1 h einen Kaffee (senza niente 3 ) –, u. haben den Nachmittag zu unsern Höllenwegen benutzt u. nach dem zeitigen Abendessen wieder den Garten aufgesucht. Zwischen 9 u. 10 dann zu Bett.
    Wir machten am Sonnabend 4 einen vergeblichen Vorstoß gegen Laim – es liegt allzuweit draußen –, wir versuchten auf dem Rückweg wenigstens an die Erzgiessereistr heranzukommen, es wäre kein großer Umweg mehr gewesen, aber auch dazu wurde die Zeit zu knapp. Wir gingen dann am Sonnabend direkt zur Erzg.-str u. holten uns den Rucksack mit Lebensmitteln u. einigen Notwendigkeiten her – aber den Pinsel zum Rasierzeug vergaßen wir, u. Mäntel u. warme Kleidung für * E. ließen wir dort, denn es war ja so furchtbar heiß, u. inzwischen ist der Wetterumschlag gekommen, u. heute am Dienstag sitzen wir frierend u. gefangen bei Regengüssen u. wissen aus Erfahrung, daß Regen nach Gewitter in München tagelang, drei, vier Tage anhält. Am gestrigen Pfingstmontag wollten wir uns vor weiteren Pflichtwegen erholen u. machten nur einen Spaziergang durch die einstige Au u. dann über ihr durch die Hochstr. zurück. Heute am Dienstag (22/5.) wollte ich einen neuen Vorstoß über Kaulbach sixty-five auf * Maron unternehmen, aber gestern Abend kam das Gewitter, u. seitdem regnet es immerfort, u. wir können in unserm desolaten Kleider- u. Schuhzustand nicht ins Freie. Ich kann auch nicht

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