Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
Vom Netzwerk:
alte ständige Wechsel zwischen Optimismus und Pessimismus.
    Heute morgen wohl eine ganze Stunde der alte Jargonjude * Weinstein hier, der uns Rauchzeug verkauft. Wir hören ihm gern zu, er ist ein kluger Mann, hört vieles, äussert sehr interessante Meinungen, ist ein überzeugter Anhänger der Russen ... Meine * Rousseau- * Ducros-Lektüre schleicht, auch vorgelesen wird nicht viel. Auto, Auto über alles, erster und letzter Gedanke.
     
    Fahrt nach Rochlitz am 21. (22.5.)
     
    Strecke Nossen, Waldheim, Hartha, Geringswalde, etliche 70 km; mit Zubehör haben wir genau 176 km. zurückgelegt.
    Technische Besonderheit: durch vielfältiges Verfahren ergab sich ein lehrreicher Zwang zu häufigem Zurückstossen; einmal wäre ich dabei fast im Chausseegraben gelandet. Im übrigen fuhr ich gut und relativ rasch, zwischen 50 und 60, bei strömendem Regen, glatter Strasse, unendlichen Curven und Gebirgschikanen. Der Wagen hielt sich tadellos, der Ölverbrauch scheint kein übermässiger gewesen zu sein.
    Um ½ 12 bei Gewitterdrohen im offenen Auto fort; auf der Kesselsdorfer Strasse, schon weit draussen, vermisste * E. die vorbereiteten Flaschen mit Suppe und Kaffeeextrakt. Zurück – die Flaschen standen vor der Garage. Um 12 neuer Start. Auf halbem Weg nach Kesselsdorf begann der Regen. Verdeck hoch und weiter. Gewitter und Gewitterguss; danach hatten wir mit geringsten Pausen den ganzen Tag bald starken, bald schwächeren Regen, der träge Wischer warf ganze Wasserschwälle beiseite. Schloss man die Fenster, so beschlug sofort die Vorderscheibe von innen. Trotzdem wurde es unsere bisher allerschönste Fahrt.
    Bald hinter Nossen, ein ganz gelbes Feld neben uns, welliges Wiesenland, darüber hinaus Waldstreifen vor uns, das Ganze ein Hochplateau, hielten wir an; E. ass ihre Suppe, ich rauchte ein Cigarillo. Dann in langer glatter Fahrt durch Waldwege, langgestreckte, sehr grosse Kleinstädte, oft sehr schöne Landschaftsbilder, richtige, beinahe kitschige Bilder mit Teich oder Flüsschen, Wiese, Wald und Frühling. Schliesslich geradezu bedeutend, von einer Höhe aus der erste Blick auf Rochlitz. Tief unten der Fluss, jenseits im Thal und ansteigend die Stadt, hinter ihr im Dunst nicht Hügel, sondern stattliche Bergzüge. Wir rollten durch wunderschönen alten Wald oder Park in engen Curven herunter und über eine lange steinerne Brücke (neu – * Martin Mutschmann-Brücke) in die Stadt. Gleich zum Markt und in das Caféhaus, das stark besetzt war. (Der mitgenommene Extrakt bewährte sich.) Dann zu einer Tankstelle und dann zur Besichtigung und Erinnerung. Vor 26 Jahren waren wir bei * * Haberkorns. 1 Gleich erkannte Eva das altertümelnd verschnörkelte Haus und den Kasten gegenüber, dem wir eines Nachts Kirschkerne gegen das Fenster spuckten, bis sich die Insassen spukverängstigt rührten. (Wir haben einen Gruss * * an Sterns nach Baden-Zürich 2 geschickt.) Wir fuhren erst etliche Kilometer Waldweg zum Rochlitzer Berg hinauf, den wir 1910 bestimmt nicht betreten haben, E. war damals unmittelbar nach der Blinddarmoperation. Grüne Tiefe und grosses Bergrund – aber alles im Nebel. Der Aussichtsturm nach der Stadtseite bei Regen und Glätte für E. unzugänglich. Also zurück. Dicht bei * * Haberkorns Haus liessen wir den Wagen stehen und gingen auf das alte Schloss, dessen Bild so lange in unserer Wohnung gehangen hat. Es wendet dem Fluss die lange Längsseite zu, es ist durch die stadtabgekehrten Zwillingstürme der Schmalseite (Spitzkegel auf hohen grauen massigen viereckigen Unterbauten) charakterisiert, es hat einen alten Innenhof und dient natürlich als Gericht und Museum. Wunderbar der Blick hinab auf die Mulde. Sie ist breit, sie rauscht, sie hat sehr grüne Wald- und Wiesenufer, eine Eisenbahnbrücke überquert sie und verdeckt halbwegs das laute Mühlenwehr – Thüringen, die sanfte deutsche romantische Landschaft, typisiert geradezu. Es ist dieser Blick, diese Stimmung, die mir in Erinnerung geblieben sind; das Haberkornhaus hätte ich nicht wiedererkannt, den Ort auch nicht – ich könnte nicht sagen, was schon 1910 von ihm dagewesen, und was seitdem hinzugekommen ist. Gegen fünf ziemlich nass aber sehr befriedigt zurück, und auch die Heimfahrt war ein Genuss. Vor acht im Quartier.
     

 
    Sonntag Abend acht Uhr, 24. Mai.
    * Isakowitz sagten sich gestern zu ihrer Abschiedsvisite für heute Abend neun Uhr an (die * * Damen fahren Ende nächster Woche, er vierzehn Tage später. Bei einem

Weitere Kostenlose Bücher