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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Sonnabend Abend.
    Sehr resignierter Brief * Georgs als Dank auf meinen Glückwunsch. Harvard University hält sich an die Altersgrenze von 65, und er ist 71; für den sehr lebhaften ärztlichen Wettbewerb fühle er sich nicht mehr frisch genug; also sei er ganz von der Vita activa zurückgetreten, erwarte mit Gleichmut das Ende und beschäftige sich schriftstellerisch, so auch mit dem Versuch sein Leben zu beschreiben, wozu ihm aber doch wohl die künstlerische Fähigkeit fehle. Mir wünsche er aufs wärmste einen Auslandsposten und einen ausländischen Verleger. Es hat mich sehr angefasst, dass auch Georg an Erinnerungen denkt. Im letzten sind die eigentlichen Träger unseres Namens doch er und ich. Wenn ich mich nur entschliessen könnte, an meiner Vita zu arbeiten. Stattdessen lese ich dauernd den * Rousseau von * Ducros, schlafe dauernd darüber ein und finde nirgends einen Zugriff.
    Der Abschiedsbesuch der * * * Isakowitze am letzten Sonntag verlief ziemlich trübselig, und sehr trübselig war [h]eute der Abschied auf dem Bahnhof. Er galt den * * Frauen; die Familie ist über Pfingsten in Landeck bei Verwandten, er komt noch auf eine Woche zu seiner Praxis zurück, wird auch * E. noch zuende behandeln; * Mutter und * Tochter reisen über Berlin nach London. Ich holte vorgestern uns überlassene Blumen aus ihrer aufgelösten Wohnung. Eine Wiederholung des * * Blumenfeldschen Auszugs. Nichts hat sich inzwischen geändert, die Macht des dritten Reiches ist nur ständig grösser und sicherer geworden.
    Morgen, Pfingstsonntag, wird es ein Jahr, dass wir in * I. s Auto zur Bastei fuhren, wenn das Wetter erträglich ist, werden wir im eigenen Wagen nach Oybin fahren. Aber ich kann dessen nicht recht froh werden. Unsere ganze Situation ist unsicher, zerrüttet und demütigend.
    Vom Bahnhof fuhren wir auf eine Stunde in die Blumenausstellung. Im übrigen: E. pflanzt und baut Wege, ich fahre in der Stadt herum und döse über dem * Rousseau, und unser Geld schmilzt täglich zusammen.
    Ich las mit sehr grossem Genuss vor: * Elisabeth Russel: Vater. Durchdringend englischer Humor; ich fühle es und könnte doch nicht definieren, worin das specifisch Englische steckt. Se[h]r eng die Verbindung mit dem Tragischen, sehr liquide die Grenze zwischen Humor und Tragik. Jennifer Dodge, 33 Jahre, tyrannisiert von ihrem Vater, dem aesthetenhaften, unbewusst egoistischen Schriftsteller; er heiratet mit 65 Jahren ein ganz junges Mädchen, und sie fühlt sich frei. Der Landpastor James Ollier, 27 Jahre, tyrannisiert von einer altjüngferlichen Schwester. Vater wird von dem jungen Ding verlassen, erkrankt, und Jens Freiheit nimmt ein Ende. Vater stirbt im rechten Augenblick, die drachenhafte Schwester findet einen alten Pastor als Gatten, und die beiden von ihrem Pflichtgefühl und ihrer Güte Tyrannisierten können zueinander. Das ist mit dem feinsten Humor und mehrmals fast tragisch beschrieben, es ist technisch in raffinierten Lustspielscenen gearbeitet, es betont mehrmals aufs glücklichste den Humor, die Schicksalskraft der kleinen Dinge – [ ( ]Der Wintermantel des alten Pastors, der Aprikosenkorb. (Als Beispiel wichtig, wenn ich einmal über Humor schreibe).
     
    Pfingstsonntag Vormittag.
    Regnerisches Wetter; durchbrechende Sonne, aber keine Fernsicht, und also ungeeignet für Oybin. Wir hatten * Trude Oehlmann für Pfingsten eingeladen, sie hatte erwidert, es fehle ihr beim besten Willen das Fahrgeld. Einfall und Entschluss heute Morgen: wir fahren hin, nehmen sie im Wagen her und geben ihr morgen eine Fahrkarte zurück. (Persönlich geht das, schriftlich nicht.) * E. hat Suppe und Bröde und Kaffeeextrakt zurechtgemacht.
     

 
    2. Juni, Dienstag Mittag.
    Übersicht: Sonntag von 12–½ 10 Leipziger Fahrt; hin Wil l sdruff, Meissen, Oschatz, Wurzen, zurück Grimma, Zschoppach, Haken auf Leisnig zu, Döbeln, Nossen. Mit Kreuz und Quer in Leipzig auf der vergeblichen Suche nach Trude Ö. 241 km.
    Gestern nur Abends ½ 7–8 Sohmsdorf, 1 26 km.
    Heute Vorm. zum drittenmal draussen in der Bremer Strasse bei der Shellcentrale (Vorher zwei vergebliche Versuche bei Aral). Endlich klappte es, die Vergaserdüse wurde unentgeltlich gegen eine kleinere ausgewechselt, und nun soll ich von 15 auf 12 Liter Benzin, je 100 km. herabgedrückt sein. Wollte Gott! Die Kosten sind allzuhohe.
    Für Nachmittag haben wir versprochen, die * Carlo aus ihrer Wohnung in der Albrechtstr. abzuholen; * E. hat eine Thalsperrenfahrt ausgearbeitet. Wir sind

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