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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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fürchterlichen Wolkenbruch fuhr ich nach der Fürstenstr., * Frau Lehmann auf heute zu bestellen. – Heute Vorm mit * E. in der Gartenausstellung : die herrlichen Rhododendren = Anlagen, meist Seidel Grüngräbchen. Gleich nach dem Kaffee dann wieder fort, nach Kipsdorf: Abfahrt hier: ¾ 4, Ankunft dort: ¾ 5; ein Stündchen Aufenthalt, Rückfahrt in 55 Minuten geschafft. Und nun sehr ermüdet und den Gastabend vor uns. Das Auto frisst mich auf, * Rousseau ist nur noch Lückenbüsser.
    Kipsdorf machte grosses, etwas wehmütiges Vergnügen. Wieviele Erinnerungen hängen für uns daran. Der alte * Nitzsche und seine * Tochter 3 tot, * Georg, der dort nach seiner Rückkehr von * Lenin 4 mit uns zusammen war, in Boston. Usw. Wir selber Jahrelang nicht mehr dort gewesen, weil Ev Evas Füsse versagen. Jetzt die sehr schöne Fahrt im eigenen Wagen. Es war wolkenschweres dunstiges Wetter, da machte sich die Landschaft besonders bedeutend. Wir gingen ein Stückchen den Weg nach Oberkipsdorf hinauf; nirgends hat man in der Umgebung von Dresden so stark den Eindruck, völlig vom Waldgebirge eingeschlossen, buchstäblich gegen die Ebene, die Grossstadt, die Welt abgeriegelt zu sein (zwei nahe Berge Höhen überschneiden sich mit ihren Ausläufern und dahinter im Dunst steht, eben als Riegel, ein dritter Berg und unterstreicht die Verschränkung. Im Ort ein neuer Bahnhof mit einer Kehre für Autos davor, ein neues Postamt, so s nst wenig Veränderung. Die schöne Strasse nach Oberkips heisst jetzt Adolf Hitlerstrasse, und am Bahnhof hat der Stürmer seinen Kasten und stehen Hitlerjungen mit Sammelbüchsen. – Und jetzt warten wir auf Gäste, die aus Deutschland flüchten, und wir bleiben hier. Und Eva pflanzt eben Waldblumen, die sie in K. mit der Hand ausgegraben hat.
     

 
    27. Mai, Mittwoch Abend.
    Vor ein paar Wochen musste eine kleine Bauzeichnung zur Garage vervielfältigt werden, und es stellte sich heraus, dass der Inhaber der Pausanstalt ein Schwager der * Frau Hirche war. Ich liess unsere alten Nachbarn herzlich grüssen, neulich meldete t sich Frau H. telephonisch, und gestern Nachmittag war sie zum Kaffee bei uns. * Ihr Mann war ein Jahr erwerbslos und stempelte – der Direktor der Eschebachfabrik, der Besitzer eines Packard, der Vater eines * Leutnants –, jetzt ist er Reisender einer Blechfirma und Wochenlang unterwegs. Auf die N. s ist man bei den Leuten nicht gut zu sprechen, aber auch hier das blödsinnige aller Welt eingehämmerte, selbst Juden geläufige: Aber nach ihnen kämen die Kommunisten und das wäre noch schlimmer! Ich holte Frau H. aus ihrer Wohnung in der Reichenbachstr. mit dem Wagen ab, so wie in ihrer Glanzzeit H. s * Eva abgeholt haben, und brachte sie Abends zurück. (Natürlich hängen im Wohnzimmer Plaquetten von * Hindenburg und * Hitler.) Am späteren Nachmittag machten wir eine wunderschöne Fahrt: Pesterwitz, Wurgwitz, Kesselsdorf, Grumbach, Tharandt. An einer besonders schönen Sicht in Wiese und Wald wurde ein Weilchen gehalten. Sehr lieb ist mir auch das schmale Flussthal zwischen Tharandt und Dresden, ganz eingesenkt zwischen Waldbergen und vorn grün abgeriegelt.
    Am Montag Abend mit dem Wagen im Kino. Die klugen Frauen. 1 Flandrisches Städtchen im 17. Jh. Angst vor durchziehenden spanischen Truppen, List und Liebelei. Der Inhalt schwach, die Verspottung des angstvollen Bürgertums hier historisch falsch, die Selbstverständlichkeit der durchgängigen Hurerei peinlich, das Kostümspiel etwas refroidissant für meinen Geschmack – aber ganz prachtvolle Bilder und Porträts und Porträtgruppen unter genauester Benutzung niederländischer Malerei, deren Kunstwerke hier eben filmtransponiert und belebt sind. Und dazu das sehr ausdrucksvolle Spiel der Heldin, Bürgermeisterin und vielfältigen Mutter bei jungen Jahren, die ihre eigene Erotik unterdrückt, der ältesten Tochter den gewünschten Mann sichert, das Jüngste nährt und die Angelegenheiten des Hauses und der Stadt führt. Eine Französin, * Françoise Rosay, 2 mit dem typischen Pferdeschädel und der typischen rationalen Überlegenheit. Auch der Bürgermeister wurde nicht schlecht gespielt, aber er hat allzusehr die Operettenrolle des: Ich bin klug und weise 3 ..., wie denn überhaupt das Operettenelement vordringlich dem kulturhistorischen und psychologischen Ernst – beide angestrebt und beide auch einigermassen vorhanden – vielen Schaden zufügt. ( * E. fand den Film inhaltlich besser, als ich.)
     

 
    30. Mai,

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