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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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ein grosser Gutshof, die Landstrasse lag noch tiefer und das Dorf Gott weiss wo. Nach ermüdendem Recognoscieren zurück und weiter. Nach eins die Station Weissenfels. Wir verliessen die Bahn, rollten ein paar km. Landstrasse und fanden ein vorgeschobenes Landgasthaus, keine Spur von der Stadt, kein Anzeichen thüringischer Landschaft. Eine Suppe für E., ein Schnaps für sie, ein Schnaps für mich. Ein dicker unförmlicher vergnügt freundlicher Wirt, ein überfahrenes (nicht von uns!) sterbend hereingebrachtes Entchen – an der Autobahn hatten wir schon einen hübschen toten Hund gesehen – eine liegengelassene Mütze. Zurück zur Autobahn, weiter bis Osterfeld. Jetzt sah man im Dunst ein bisschen Hügelland, nichts Sonderliches. Durch den sehr grossen Ort auf holprigster abschüssiger Strasse verfahren, dann sagte uns ein Postschaffner am Markt den Weg zum Dorfe, es war nicht weit, und bald erwartete uns am Weg die * Annelies Lehmann. Haardorf ein physiognomieloses stattliches Dorf, mit einem grossen Rittergutshof. Die alte Mutter der Frau L. haust da mit zahlreichen ehelichen und unehelichen Enkelkindern, bekommt Rente, bekommt etwas als Kinderfrau, trägt Semmeln aus, hat Wohnung im Häuschen eines Verwandten und ist weder von Armut noch sonst geplagt. Ist in Haardorf geboren und hat bis an die Siebzig in der Landwirtschaft gearbeitet. Wir bekamen einen guten Kaffee, die Dorfjugend umstand das Auto: wir mussten über den Gutshof, durch lockeren Laubwald und Heide auf einen Hügel mit weitem sehr eingedunstetem Fernblick. Senkungen, Felder, Waldhügel, Kirchtürme: genau so wie an zehn Stellen bei Dresden. Etwa wie vom Versailleskreuz bei Pulsnitz. Die [R]ückfahrt, um ¼ 5 begonnen, etwas weiter ausgeschwungen (genau 200 km die lange Stadtfahrt zu * * Lehmanns in der Fürstenstr. eingerechnet) gab uns mehr landschaftliche Schönheit, aber der wesentliche Eindruck war doch immer: tout, mais littéralement tout comme chéz nous 1 – ich konnte nichts entdecken, was als specifisch thüringisch sich von unserer sächsischen Landschaft abhob. Mittelgebirge eben, welliges Land, hügliges Land, [g]emischter Wald, parkartige Strecken, Ernte auf den Feldern. Grosse Städte, von deren Existenz, mindestens von deren Grösse ich nichts gewusst. Noch einmal bei Osterfeld auf die Bayreuther Autobahn. Bis Eisenberg; die Stadt, von der ich nie auch nur den Namen gehört, lag weitgestreckt seitlich der Bahn. Wir verliessen bei dieser Station die Bahn, und nun führte die Landstrasse auf den Ort zu und durch ihn hindurch. Mittelstadt wie x andere. Dann, überraschend gross: Gera. Wir kamen an einen Punkt über der Stadt; sie lag in einem Kessel, teilweise aufsteigend von einem weiten Hügelkranz umge[b]en. Das war das bedeutendste Bild des Tages. Nachher, eine lange elegante Zeile: Köstritz; ich hatte immer gelesen Köstritzer Ammenbier und war nun also in Köstritz. Wieder DER Kurort im sanften Mitteldeutschland, es musste nich[t] gerade Köstritz sein. Neulich einmal Liebenwerda war genau so. Wieder ein unbekannter und sehr stattlicher Ort: Schmölln. Es sind uns ein paarmal Zahnbürsten ins Haus geschickt worden von einer Fabrik in Schmölln. Das war alles, was wir von dem Nest wussten. Es ist aber kein Nest, sondern eine von hundert gleichartigen Mittelstädten ... Gegen 6 erreichten wir Meerane. Nun die bekannten 101 km. der schönen Bahn. Ich hatte gehofft, sie bei Tageslicht durchfahren zu können; sooft ich über 60 km. ging, begann aber der Kühler zu kochen. So kamen wir relativ langsam vorwärts und in die Dunkelheit. Sehr anstrengend, zumal ich sehr ermüdet und hungrig war. Eine besondere Anstrengung nachher die Fahrt durch die ganze Stadt. Erst lange n[a]ch zehn saßen wir nach abgelieferten * * Lehmanns auf dem Bahnhof beim Abendbrod ... Mit alledem, auch mit dem landschaftlichen Negativum, war die Fahrt interessant genug.
    Seitdem nur eine kleine Spazierfahrt durch den Poisengrund und eine Fahrt zu * Heckmann an der Meissener Landstr., den wir nicht antrafen. Aber Montag sind wir * * Öhlmanns in Bucha Besuch und Fahrt mit ihnen schuldig, und Mittwoch soll die Reise zu * Grete und mit ihr beginnen. Inzwischen ununterbrochene Gewitter, Wolkenbrüche, förmliche Naturkatastrophen, zerrüttete Wege, zermürbende Schwüle.
     

 
    Montag Dienstag, 17. 8.
    Die Fahrt nach Bucha [h]aben wir unterlassen. Wir gerieten auch ohne sie in Zeit[ bedrängnis zumal der Wagen ]bedrängnis, zumal der Wagen wiedermal streikte,

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