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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Leidenschaft. Bei Dunkelheit in dem zu Hamburg zählenden, 16 km. von dort entfernten Lohbrügge. Quartier im Schützenhof, einem zi[e]mlich isoliert gelegenen Ausflugslokal, grosses Haus mit allerlei Türmchen und Balkon. Sehr freundliche zutunliche Wirtsleute, eine junge blonde Frau[,] ein gutmütiger älterer Mann. G. sehr ängstlich unglücklich über das abgelegene Zimmer, die Treppe, die Notwendigkeit zum Locus die Treppe hinabzusteigen. Am nächsten Tag aber so zufrieden, dass wir genau hierhin auf ihren Wunsch noch einmal zurückkehrten. Grete legte sich sofort hin (wir waren den ganzen Tag und durch Berlin und 316 km. gefahren, unsere grösste Leistung auf dieser Tour) – wir assen im Gastzimmer Würstchen und Bratkartoffeln und tranken Malzbier dazu: danach gingen wir rec[h]twin[k]lig zur sehr belebten Landstrasse am Haus vorbei. Sogleich vor entferntem Wald richtige Dünen und in der Ferne sah man die Lichter von Hamburg wie eine gebogene Strandpromenade, offenbar über einen Elbbogen weg, sah auch Schiffahrtszeichen.
    4) Sonnabend, 21. 8. Die billige erste Nacht: zwei M. das Bett, 1. M. das Frühstück. Um ½ 10 fuhren wir nach Hamburg herein, es begann bald zu regnen, und ein paar mehr anstrengende als erfreuliche Stunden folgten. Grossstadtgekreisel, insbesondere u[ j ]m die Innenalster, ein Stückchen Hafen. Am Bahnhof gegessen, um ½ 2 im geschlossenen Wagen nach Cuxha[v]en aufgebrochen. Lange Vorortfahrt, danach die Heidelandschaft, Wiesen, Heidekrautäcker. Nach einer Weile konnten wir das Verdeck öffnen, und dann sind wir bis Berlin ohne Regen durchgekommen. Schmale schlechte Strasse. In C. Kaffee und zur Alten Liebe. Dort grosses Militärtreiben, eine Motorradtruppe, eine Lautsprecherübung. Einen Augenblick eingekeilt, während * E. ausgestiegen war, geriet ich in Verzweiflung, das Chaos löste sich aber höflich, und man dirigierte mich auf einen Parkplatz am Leuchtturm. Wir gingen zur Mole und sahen in der ziemlich leeren Ausfahrt ein KdF-Schiff der Hamburg Süd herausgleit n en. * Grete war durchaus enttäuscht; sie hatte den Deich erklettern müssen, um zum Strandcafé zu gelangen, sie hatte jetzt wieder klettern müssen, und nun sah sie ein stilles Wasser statt der erwarteten See, und einen fast isolierten Dampfer statt des erwarteten riesigen Schiffsverkehrs. Gegen Abend fuhren wir die paar Kilometer nach Duhnen, das sich seit 29 zum richtigen Bade ausgewachsen hat, und das wir im Wochenendbetrieb antrafen. Unmittelbar am Meer (d.h. am Watt – richtige Flut habe ich an der Nordsee noch nie gesehen, und so auch diesmal nicht, weder am Abend noch am Morgen, immer nur der nasse Sand, das Wassergerinnsel darin, den Silbergrauen Dunst und weiter draussen das weisslichere Silber und Schiffe darauf – das grosse Strandhotel mit Musik und Tanzdiele, daneben durch die Strasse abgetrennt, ein öffentlicher Parkplatz. Hier stellte ich den Wagen hin bei einigem Zwist mit einem pedantisch bärbeissigen alten Parkwächter (Sie haben wohl öfter Schubkarren als Wagen gefahren?!) Grete kam im ersten Stock unter, wir wunderschön im zweiten, Blick auf die See, einige Eleganz, richtiges Ehebett. Gutes Abendessen, danach wir zwei allein noch einen Gang oberhalb des Strandes, felicissima notte. Am andern Morgen noch ein bisschen am Wattenmeer, die Umrisse von Neuwerk tauchten dunstig auf, ein grosses Fuhrwerk arbeitete sich über das Watt.
    5) Sonntag 22. 8. Duhnen war der erste Sternchenort im Baedecker unserer Fahrt, es war auch ihr Scheitelpunkt. Wir hatten beabsichtigt, von Cuxha[v]en überzusetzen und Büsum oder Sylt anzustreben. Aber das Übersetzen hätte mit dem Wagen gegen 15 M. gekostet, und wir mussten sparen, da 200 M. möglichst lange reichen sollten. Zwei Entdeckungen: * Gretes Brille war in Hamburg liegen geblieben, und die Zählmaschine im Tach[o]meter versagte. Planänderung. Um ½ 12 nach Wesermünde. Wieder und nachher bis Bremen die Heidekrautäcker. In Wesermünde Mittag der Damen und ein Schnaps für mich in der Strandhalle[.] Ein Garten über der glatten Bucht, an ihn grenzend ein Zoologischer Garten im Hagenbeckstil, wir sahen aufgetrepptes Gestein und hörten Geheul und Gekreisch. Grete erbitterte sich jedesmal über das häufige Juden unerwünscht – WIR nahmen es fatalistisch hin. Grete wunderte sich jedesmal über die Höflichkeit der Einzelnen – WIR glaubten nicht an den Nationalsozialismus der Masse .. Rasche Frühnachmittagsfahrt nach Bremen; dort kam ich aber erschöpft

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