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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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sind alles in allem zufriedene alte dicke gute Leute. – [D]ann haben wir ein paarmal kleine Abendfahrten von den grossen Strassen abweichend gemacht. Über Coschütz auf die Strasse nach Dipps, 1 durch den Poisengrund nach Freital; ein andermal über Bannewitz nach Freital. Da gibt es überall die schönsten Waldstücke und die schönsten Blicke in das Elbthal. Man kann diese Fahrten etwa Um den Windberg nennen. Schon nach Freital zum Automann * Wolf fahren, den Windberg neben sich, ist schön. Und wie auf dieser Strecke am Spätnachmittag die Schwärme der heimkehrenden Arbeiter radeln, das ist social interessant und eine Aufgabe für den Fahrer. Vorgestern am 4. unternahmen wir wieder eine längere Fahrt, sie wurde sogar länger als beabsichtigt. Gleich nach dem Kaffee hier weg, immerhin erst um ½ 4. Wir wollten endlich den geheimnisvollen jetzt so modernen Schwartenberg finden. Bis Frauenstein die gleiche Strecke, die wir zuletzt mit * Lili fuhren. Längere Rast an der schönen Talsperre. Links von Frauenstein abgebogen, langer Waldweg, schlecht gehalten. Der Ort Neuhausen. Dann sahen wir die Kuppe mit dem Hotelbau vor uns. Das Auto geht steil auf die kahle Höhe. Gegen 800 m. Ein Gebirgsblick ähnlich wie in Oberbärenburg, aber mächtiger, sozusagen ausgeprägte[r] und weiter zugleich. Ein Rund von vielgegliederten grünen Bergen viele Orte in den Falten und Hängen, ein grosser Tiefenkreis. Und immer das Gefühl: überall ringsum ist Böhmen, ist Europa. Wir hatten [mit S]uchen zu den 70 km bis hierher ganze drei Stunden gebraucht, wir beschlossen bald wiederzukommen, denn die Fahrt selber ist ebensoschön wie der sehr bedeutende Ausblick, wir tranken nur einen Sch[n]aps und wollten eilig über Freiberg zurück. Wir verfuhren uns, während dichte Nebellagen über die Wiesen und durch die Wälder quollen, kamen nach Olbernhau, mussten ein ganzes Stück zurück und waren erst um neun in Freiberg. Wir assen in einem Aussen- und Gartenlokal (altfränkisch angelegt mit Musikpavillon) Abendbrod und fuhren erst um 10 weiter. Über Mohorn und Kesselsdorf. Wenige Entgegenkommende, meist Scheinwerfer benutzt, rasche beinahe romantische Fahrt. Gegen elf gelandet. Gleich den nächsten Nachmittag, also gestern, noch einmal nach Freiberg, zu Fuss eine ganze Weile die alten Häuser und Mauern, die schönen Wallpromenaden den Dom besehen. Zum erstenmal fiel mir die disparate Dreiteiligkeit des Domes auf. In der Mitte ein riesiges Giebelhaus, daran geklebt der prunkvolle Altarbau und ein eckiger Festungsturm. Die Stadt wie jeder deutsche Ort dur[ch]seucht von Einrichtungen, Inschriften Strassennamen, Bauten Kommandostellen usw. usw. der NSDAP. Seltsam die Autos und der ganze Apparat der Neuzeit in all der alten Enge; dem Dom gegenüber die Scheinwerfer zur Festbeleuchtung (und es gibt soviele Feste im dritten Reich!), im engsten Gässchen ein Autolieferwagen, der gerade Käse einlud. Den Nachtweg des vorigen Abends fuhren wir nun noch bei Tageslicht zurück; hin waren wir über Tharandt und Grillenburg gekommen. – Heute nur die obligate Zahnarztreise.
     

 
    Sonntag 8. August.
    Inzwischen nur gestern Abend eine ganz kleine Rundfahrt (19 km.) Coschütz–Bannewitz, um der furchtbaren Schwüle zu entkommen und Luft zu fühlen. Aber morgen wollen wir nun * Frau Lehmann aus Thüringen holen, und heute kam ein sehr reiselustiger Brief von * Grete, den ich gleich beantwortete. Es sind grosse Combinationen geplant – Gott weiss, wie unsere Finanzen das durchhalten sollen, zumal die Zahnarztrechnung steigt und steigt und ich der Iduna nun doch 150 M. in den Rachen geschleudert habe.
    Der Philologe merkt am Stil einen momentanen Stimmungsaufschwung: ich brachte heute im Ms. den * Prevost sehr schön fertig – wahrhaftig zu schade für die Würmer und doch wohl nur für sie geschrieben.
    Plan der nächsten Woche: morgen Haardorf, Kreis Naumburg-Land. Dann * Vauvenargues umarbeiten, dann die Berliner Bücher durchackern, bevor ich Prevost in die Maschine bringe (was beim Zustand des Ms. mit seinen Flickereien schwer halten wird. Auf Mittwoch 18. 8. ist vorläufig der Anfang der Strausberg- und Seefahrt gesetzt.
    Es sind Kinoabende nachzuhol[en.] Wohlgelungene – wäre nur nicht jedesmal die Bitterkeit des sich beweihräuchernden und triumphierenden dritten Reiches. Die Erneuerung der deutschen Kunst – die jüngste deutsche Geschichte im Briefmarkenbild, Jugendlager, begeisterter Empfang des * Führers in X ode[r] Y. Kulturrede

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