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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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und was mehrere Fahrten zu * Wolf, Ausprobungen und Verzweiflungen zur Folge hatte. (Zündung umgestellt des kochenden Kühlers halber – scheußliches Versagen.)
    Heute nun im wesentlichen reisefertig – d.h. * Eva packt, was bei ihr immer mit äusserster Missstimmung verbunden –; aber nachdem die Sache das erstemal so sehr verunglückte, bin ich wenn nicht abergläubisch, do[c]h sehr skeptisch, dazu auch von der allgemeinen Situation viel zu bedrückt, als dass ich bisher irgendwelche Freude verspürte.
    Ich habe den aus Berlin entliehenen * Monglond zum grösseren Teil durchgearbeitet, aber noch nicht notiert; ich beantragte Verlängerung. Auch meinem Opus stehe ich immer skeptischer gegenüber.
    Wir sahen Sonntag am Freiberger Platz den Film * Madame Bovary. 1 Bis auf ein paar hübsche Kostüme und Scenenbilder ein durchaus wertloses Machwerk. Nichts was für den Roman charakteristisch ist, auch das nicht, was sich sehr wohl auf die Leinwand bringen liesse, ist übrig geblieben. Nur die allerbanalste Aktion. Und * Pola Negri gibt auch rein gar nichts von Madame Bovary. Nur eine beliebige haltlose und unglaublich törichte junge Frau. Ein klein bisschen besser der dicke, philiströse, brave, blinde, in seiner Art tüchtige Doctor ( * Aribert Wäscher 2 ). Homais, die Sprichwortfigur der Franzosen: ein Nichts. Wir waren sehr enttäuscht und am nächsten Tag noch enttäuschter als am Abend selber.
    Im Stürmer (der an jeder Ecke aushängt) sah ich neulich ein Bild: zwei Mädchen im Seebad, Badekostüm. Darüber: Für Juden verboten, darunter: []Wie schön, dass wir jetzt unter uns sind! Da fiel mir eine längst vergessene Kleinigkeit ein. September 1900 oder 1901 in Landsberg. Wir waren in der Unterprima 4 Juden unter 16, in der Oberprima 3 unter acht Klassenschülern. Von Antisemitismus war weder unter den Lehrern noch unter den Schülern Sonderliches zu spüren. Genauer rein gar nichts. Die * Ahlwardtzeit und * Stöckerei 3 kenne ich nur als historisches Faktum. Ich wusste nur, dass ein Jude weder Verbindungsstudent noch Offizier werde. Aber die beiden * * Brüder Boas, die auch in der Prima sassen, rechnete ich schon gar nicht zu den Juden, obwohl ihr Protestantismus ganz frischgebacken bei ihnen (nicht bei ihren Eltern) anfing. Am Versöhnungstag nahmen also die Juden nicht am Unterricht teil. Den nächsten Tag erzählten die Kameraden ohne alle Bösartigkeit lachend (so wie das Wort bestimmt auch von dem durchaus humanen Lehrer bestimmt nur scherzend gesprochen wurde), * Kuhfahl der Mathematiker habe zu der verkleinerten Klasse gesagt: Heut sind wir UNTER UNS. Das Wort nahm in der Erinnerung eine geradezu grausige Bedeutung für mich an: es bestätigte mir den Anspruch der NSDAP, die wahre Meinung des deutschen Volkes auszudrücken. Und immer mehr glaube ic[ c ]h, dass * Hitler wirklich die deutsche Volksseele verkörpert, dass er wirklich Deutschland bedeutet, und dass er sich deshalb halten und zu Recht halten wird. Womit ich denn nicht nur äusserlich vaterlandslos geworden bin. Und auch wenn die Regierung einmal wechseln sollte: mein innerliches Zugehörigkeitsgefühl ist hin.
    In der Zeitung heisst die betreffende Beilage nicht mehr Das Auto oder der Kraftverkehr oder so, sondern Der Kraftverkehr im dritten Reich. Überall muss das Hakenkreuz deutlich sein. Alles ist zu ihm und nur zu ihm in Beziehung zu setzen. – * Im Monglond stosse ich zum erstenmal auf die Sprache der Redner, Journalisten, Prediger etc. der Revolution: haargenau die gleiche Sache!
    Von * Marta (die gekränkt ist, das wir zu * Grete fahren) höre ich, daß * Georg in der Schweiz ist. Mit vieler Anhänglichkeit behandelt er mich nicht. Ich glaube, er gibt mir das viele Geld, weil er dem * Vater vor 25 Jahren versprochen hat mir zu helfen. Ich bin überzeugt, dass ihn weder geschwisterliche Liebe noch gar irgendwelche Achtung vor meiner Arbeit bestimmt, überzeugt, dass ich ihm unsympathisch und einigermaßen verächtlich bin. ... Aber ich bin ein bisschen dickfellig und cynisch geworden und kann wie die Dinge liegen [b]are Unterstützung viel besser gebrauchen als geschwisterliche Achtung und Liebe. [E]s ist überhaupt, wie ich ja schon oft constatiert habe, nicht mehr viel Gefühl für die Menschen in mir übrig geblieben. * Eva und dann kommt schon der Kater Mujel.
     

 
    Dresden, 29. August, Sonntag–5. Sept. Sonntag
    Die Küsten- und Hansafahrt
    mit * Grete und die Fahrt ins Riesengebirge.
    Seit Jahren glaube ich aus meinem

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