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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Abhang und Fels, wie man sie bei uns hundertfach findet, trug die Inschrift Bauarbeiten, sonst nichts, nach etwa 300 m. war sie ganz gesperrt und wir mussten mit Rückwärtsgang zurück. E als Leithundchen nebenher, Grete in Angst, ich in Sorge, der Bock überangestrengt in Bremsen und Kuppelung, stinkend. Nachher im Wald der berühmte Wasserfall der Kochel. Das bringen sächsische Schweiz und Rabenauer Grund noch allemal, und die Anschrift: 20 Pf Gebühr für das Schleusenaufziehen beim Wasserfall (übrigens lief er gerade von selber) spielt man so oft gegen die lächerliche sächs. Schweiz aus. Aber der naturgetreuere, völkischere Rübezahl darf sichs ohne Beeinträchtigung seiner Würde erlauben. Grete war wieder im Wagen geblieben, und der Kochelfall hatte das Gute für uns, dass Eva rasch und heimlich eine Erbssuppe mit Wurst verdrücken konnte und wir beide einen Schnaps schmetterten. Dann weiter nach Schreiberhau, vielmehr Oberschreiberhau. Auf höchster Stelle mit freiem und letztem Blick auf die Kammwand, diesmal über weiten Kessel hinweg, Rast, Abfütterung Gretes. Es war nach eins, höchste Zeit das Riesengebirge zu verlassen, wenn wir vor Dunkelheit in Dr. sein wollten. – Gute Fahrt bis Greifenberg, gute Kaffeerast am Markt bei dem Minaret, gute Fahrt durch Görlitz und das romantische Löbau, das allerhand Ähnlichkeit in seinem Landschaftsbild mit dem Panorama vom Dorf Dölzschen hat. Und dann Reifenpanne. Nachdem * E. mit dem Einstellen des sehr guten von * Isakowitz geerbten Hebers zu Rande gekommen, brachte ich (zum erstenmal und allein!) den Radwechsel rasch fertig. Immerhin Zeitverlust. Und gleich darauf endloses Warten an einer Bahnschranke. Und dann im frühen Dunkel ein neuer Weg: Neustadt–Stolpen. Es ging hoch hinauf und durch meilenweiten Wald, immer mit dem Scheinwerfer an den geweissten Stämmen entlang gegriffen. Sehr schön und sehr nervenspannend. Dann Ortschaft, Entgegenkommen der Blendung, Absteigen bei den Wegweisern – weniger schön und erst recht anstrengend. In Stolpen schwenkte ein junger Mann ein Papier: Polizei. Ich hielt, er sagte sehr höflich, hier sei sein Ausweis, dass ich mich nicht ängstigte, er habe den Autobus versäumt und müsse zum Dienst nach Dresden, wir möchten ihn doch mitnehmen. Ich tat es nicht ganz leichten Herzens, er erwies sich wirklich als harmlos, und stieg mit vielem Dank am Albertplatz ab. Wir waren über Radeberg und dann der Tram 11 nach gefahren. Nun, sehr abgespannt gegen ½ 10 durch die City nach Haus. Und jetzt eine letzte Teufelei: An SÄMTLICHEN Zugängen des Kirschbergs Sperrschilder, an der Hitlerstr., an der Zastrowstr (nach Umweg über das Dorf u. die Residenzstr.) an der H[.] Göhringstr.
    Es war wie ein Angsttraum, Kopenhagen in den * Andersenschen Glücksgaloschen. 1 Ich wurde wild, stieg aus, schob (während sich ein Fenster öffnete) die Schranke beiseite, fuhr ein und rückte sie dann wieder zurecht. Grete jammerte: Lass den Wagen stehen, du wirst SOOVIEL zahlen müssen!, ich brüllte Grete an – ein tragikomisch greulicher Abschluss der Riesengebirgsfahrt.
    16.) Donnerstag, 2. IX. Gleich am Morgen meldete ich das Intermezzo dem Vormann der Strasse[n]arbeiter. Antwort: Als Anlieger dürfen Sie, die Sperre habe eigentlich nur den schweren Lastwagen gegolten. (Die Strasse wurde nach den schweren Wolkenbrüchen und Wegspülungen der letzten Zeit neu beschottert und gewalzt. * Eva hatte dasselbe schon gleich vor der ersten Sperre gesagt, und ich hätte mir den ganzen Ärger sparen können. So waren also die 435 km dieser Fahrt – * Lange hatte den Messer wieder in Ordnung gebracht – nicht ganz so glücklich abgelaufen wie die vorhergehenden 2 000. Aber die eigentliche Katastrophe brachte erst dieser Donnerstag. Eva lag mit Kopfschmerzen länger als sonst, * Frau Lehmann kam etwas später als verabredet, * Grete verlangte nach Mittagessen. Eva briet ihr ein Schnitzel – und ich fand Grete in Thränenströmen und Ekstase: ich hätte sie, den bescheidensten aller Menschen gekränkt, indem ich Eva in die Küche hetzte, nie würde dieses Schnitzel von dem bescheidensten aller Menschen angerührt werden, sie werde durch den Park in die Stadt gehen, gleich und zu Fuss und ein richtiges Diner essen, etc. etc. Es ist in der Erinnerung komisch und war im Erleben grässlich. Ich musste drohen, einen Arzt heranzutelephonieren, um G. im Hause festzuhalten, sie sass heulend auf der Terrasse, das Schnitzel musste ich selber kalt zum Abend

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