Klemperer, Viktor
gewaltiger sei. Alle Welt, und so auch Grete, die es vor 30 Jahren mehrfach besucht hat. Wir wickelten uns bei gutem aber dunstigem Wetter gegen 12 aus Dresden heraus, fuhren über Bau[t]zen, Löbau nach Görlitz bekannte, oder doch halbwegs bekannte gute Strecke mit hübschen uns üblichen Landschaftsbildern. In Görlitz der schauderhafteste Kaffee (Mokkalausches), schöne Parkanlagen, offenbar wo früher [W]älle gewesen; die Stadt selber sagte mir nichts, aber die Land[e]skrone, so richtig der runde Berg, wie ihn Karlchen zeichnen würde, gefiel mir wieder, wie schon ein paarmal im Leben. Dann bis Greifenberg sind die Berge fast verschwunden, Gegend blos[s] so. Im Städtchen Greifenberg auf dem Marktplatz eine grosse alte grauweisse Kirche (in der aber auch eine Polizeiwache untergebracht ist) mit einem schlanken weissen Turm wie ein Minarett aus mehrer[e]n übereinander gesetzten durchbrochenen Cylindern. Jenseits Greifenberg tauchte dann, allmählich deutlicher, eine neue Bergkette auf; Waldgebirge wie das Erzgebirge, aber doch wohl etwas höher und massiger. Nach einiger Zeit ergab sich als Charakteristikum die scharfgekantete und kurzgeschorene (nicht eigentlich kahl anzusehende) Kammlinie und in Abständen auf ihr etliche massig wirkende Gebäude, die Bauden. Über die Kammlinie ragt in ihrer Mitte ein Zipfel (nicht sonderlich hoch aber doch deutlich) hinaus: die Schneekoppe. Diese Kette mit dem [L]inealrand und dem Zipfel und den Bauden: das ist für mein Erinnern das Riesengebirge, das haben wir an zwei Tagen unter verschiedenen Gesichtswinkeln gesehen, bald über Ebene hinweg, bald am Fuss entlang fahrend. Gegen Abend, dicht an der Kette, ein wenig vom Tal hochstrebend, breit angelegt, Kurort wie 10 000 Kurorte: Hirschberg, eine Weile später, ähnlich wie Hirschberg: Schmiedeberg, wieder eine Weile später, ähnlich wie Hirsch- und Schmiedeberg: Krummhübel – (ich habe noch eine Ansichtskarte, die mir die * * Eltern zu Anfang des Jahrhunderts aus K. schrieben[)]. Nun aber stieg der Weg sehr entschieden in langen Serpentinen hoch in die Bergkette hinein: nach Brücke[n]berg, das über Krummhübel sich weit hinaufzieht. Ganz hoch oben das uns empfohlene Hotel Franzenshöhe. Es hatte kein Zimmer im Erdgeschoss. Ein paar Häuser weiter das Privathaus Daheim, Laden und Pension. Hier wurde * Grete ein Parterrezimmer eingeräumt, wir selber erhielten eines im ersten Stock; von hübscher Veranda ging der Blick in schon nächtliche Tiefe. Grete zog sich mit einer Suppe zurück; wir assen in einem benachbarten Hotel, gingen noch ein paar Sch[r]itte ([W]aldhügel und Lichter unter uns und jenseits) und machten Nacht.
15.) Mittwoch 1. September. Am frühen Morgen ein schöner Blick von der Veranda. Hinter uns eine Halde mit etlichen Gebäuden: das hätte Oberbärenburg sein können. Vor uns ein weiter nebliger Kessel, aus ihm aufsteigend allerhand Hügel insbesondere ein Capriartiger Doppelhöcker, am Rand des weiten Kessels stattliche Waldberge. Auf einer Gesellschaftsfahrt ins böhmische Mittelgebirge habe ich ganz Ähnliches, vom Schwartenberg aus ziemlich Ähnliches gesehen. In summa: sehr schön, aber es muss nicht gerade Brückenberg sein, es ist nicht einzigartig, nicht Riesengebirge, sondern Mittelgebirge schlechthin ... Das Frühstückszimmer dekoriert mit Dutzenden von Urkunden, erste bis 10. Preise, die sich der Sohn des Hauses im Skilauf und Rodeln geholt, daneben Skipreise der Tochter. – Am frühen Vormittag dicht bei dem Hause die kurze überaus steile Strasse (erster Gang!) zur Kirche Wang herauf. * Grete blieb im Wagen. Eine Holzkirche, daneben ein steinerner Turm, isoliert, beide Bauten mit Chinoiserien (geschnitzten Drachen[)] verziert, ein geschmückter Friedhof um die Anlage, davor freier Platz mit Balustrade – Man steht vor sanfter grüner Tiefe und blickt wie aus halber Höhe und in dichtester Nähe zu der grossen Kammwand mit ihren Bauden hinüber und hinauf, der Zipfel Schneekoppe ragt nicht gerade üppig über die Linie. Das ist wohl (und jedenfalls für mich auf dieser Fahrt) der entscheidende Riesengebirgsblick. Zu Hochmooren, Teichen, kahlen Kuppen sind wir nicht vorgedrungen, sind auch nach dem Kochelfall (s.u.!) ein bisschen skeptisch dagegen. Nun begann eine etwas pechbehaftete Fahrt. Erst sehr schön die Strasse nach Krummhübel auf der andern Bergseite, von Krumhübel fort, corrigiert * Eva[,] herabgerollt. Dann sollte [e]s nach Hein gehen. Eine schlechte Strasse zwischen
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