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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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ganz fremd – Opa! Aber das Wesen der Berliner, ihre Sprache hat für mich etwas Vertrautes und geradezu Beglückendes. Vielleicht ist das (wahrscheinlich sogar) Sentimentalität und Illusion, Suggestion des Namens – aber es IST so. Mitten in Wilmersdorf, in der Nähe der Kaiserallee bei einem neuen Finanzamt Mittagsrast in einem Hackepeter mit Schnäpsen; ich machte ein paar kleine Einkäufe: zwei Flaschen Selter, Cigarillos, ich lebte in Berlin Mir fiel die unendliche Menge von kleinen Destillen auf, an jeder Ecke und dazu noch in den Strassen selber, fast noch mehr Destillen als Cigarrenläden. Dann kamen wir in wenigen Minuten (Gott weiss wie, aber jedenfalls über den riesigen und imposanten mir ganz neuen Fehrbelliner Platz in * * Jelskis stille Kudowastr, kurz vor ½ 3. Wir wurden sehr freundlich aufgenommen, Kaffee, Kuchen, Schnäpse. * Marta gebückt, sehr gealtert, sehr leidend, sehr deprimiert. Sie spricht mit ebensogroßer Er- und Verbitterung von * Grete, wie Grete von ihr. Ich möchte jetzt annehmen, dass sie zu 60, Grete zu 40 % objektive Wahrheit aussagt. Sehr scheusslich. Martas ständige Bezeichnung für Grete: []Hoheit ist gewiss nicht unzutreffend. Es erschienen später * Adele und * Olga Franke, 4 Adele sehr, Olga unförmlich und krankhaft dick, aber beide noch die alten freundlichen Geschöpfe. Olga noch (Mischling!) als Lehrerin im Amt, aber aller wissenschaftlichen Fächer beraubt. Auch * Walter Fr., 5 den ich ein Dutzend Jahre nicht gesehen[,] habe noch seinen kaufmännischen Posten und sei eben mit seiner * Frau in Oberbärenburg. Wir versprachen, ihn dort zu besuchen. Wir brachen vor sechs auf. (Politische Stimmung bei allen deprimiert – mit dem Nazi * Jelski vermied ich jedes politische Gespräch ... Gegen sechs Rückfahrt. Erst verirrten wir uns prompt, fuhren eine Viertelstunde und waren dann buchstäblich wieder auf dem gleichen Fleck am Hohenzollerndamm. Dann fanden wir einen Weg zum Viktorialuiseplatz, und nun fuhr ich [ die ] genau die gleiche Strecke, die ich 1899 mit dem Rade zu Loewenstein u. Hecht gefahren bin: Bülowstr., Yorckstr., Hallesches Thor, Gitschinerstr. Da schien mir nichts verändert. (Habe ich die ungeheure Menge der Autos notiert, die in Hamburg rechtwinklig zur Fahrbahn auf einem erhöhten Streifen unter der Hochbahn parkten?) Über die Warschauerstr. hinaus stiessen wir auf die Frankfurter Allee, und nun ging es die schon gewohnte Strecke nach Strausberg zurück. Gegen acht dort. Die Berlinfahrt war mir diesmal schon vertrauter gewesen; die Linie Alexanderplatz, Schloss, Brandenburgerthor ausgenommen (und Kurfürstendamm) ist der Verkehr nicht anders als in jeder Grossstadt. Dies war der einzige Tag mit wirklich schlechtem Wetter, mit Regen, Gewitter und notwendig geschlossenem Verdeck.
    10.) Freitag 27. 8. Um ½ 11 Rückfahrt nach Dresden mit * Grete und ihrem Koffer. (Er beengend neben mir, sie beengend neben * Eva, das gilt für die ganze Reise.) Grete fest eingepackt und umwickelt, gewillt, möglichst selten auszusteigen, sehr auf alle möglichen Krankheitssymptome achtend, den Herzschlag, die Farbe der Fingernägel, abgespannt, schwierig – ich begann zu ahnen, dass wir den Kaufpreis des Vergnügens zu zahlen haben würden. Ungeduldig wann man Dresden erreichen würde – sie sei doch einmal im Auto eines Bekannten drei (Drei! allerhöchstens vier!!) Stunden von Dresden nach Berlin gefahren. (Nachher schwor sie, sie hätte von unserm Grundstück aus mit * Gusti Wieghardt zusammen, der sie noch davon erzählt habe, die Elbe mit Schiffen darauf deutlich gesehen. Ein paar Tage später gab sie die Möglichkeit zu, die weissen zwei Schornsteine im Industriegelände für Masten gehalten zu haben. Hieraus schliesse ich auf die Objektivität ihrer sonstigen Aussagen ... Bei Saarow grosses Etablissement Strandbad, ohne dass man etwas von Strand und [S]ee zu Gesicht bekam, dafür Inschriften unerwünschter Judenheit. Bald ein sehr hübscher märkischer Waldsee, danach ein riesiges Gewässer, der Scharmützelsee, und immer wieder kleine Gewässer. Nicht anders als in Mecklenburg. Auf E.s Wunsch über Beeskow, von wo unser Bock stammt; der Ort machte keinen Eindruck auf mich. Erst gegen drei in Kottbus. Der Kamelplatz[], wie E. sagt: ein riesiger chaussierter Platz vor der Stadtmauer mit Wachttürmen. Wir liessen Grete im Wagen und gingen durch das Tor. Ein mächtiges neues öffentliches Gebäude dicht am Thor, an einer Ecke des Hauses hängend seltsames

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