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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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übernommen.)
    Sehr unerfreulich war der erneut nicht zu umgehende Abend mit der Wittib * Stettenheim; die Frau ist mehr als hysterisch, ich halte sie für geisteskrank, und sie jammert den ganzen Abend über die ekelhaftesten Verhältnisse. Ihre Schwester, immer bösartig, habe eine Tochter unter fälschlicher Angabe der Ariertums an einen nationalsozialistischen Arzt verheiratet, sie fürchte nun und verfolge sie, die nichtarische Schwester. Offenbar hat sich die Stettenheim aus Rache, um eben bedrohlich zu wirken, hier eingenistet; zugleich macht sie aber sich und uns vor, nach Dresden gekommen zu sein, weil hier ihre Verwandten sässen, weil sie also hier nicht ganz einsam sei. Wir suchten sie auf alle Weise zum Ortswechsel zu bewegen; es ist gräulich.
    Da war der Besuch der * Carlo schon eine Erholung dagegen. Im Rahmen der KDF hat sie mit vier andern Leuten zusammen in den Kleinstädten Sachsens in einem Kinderstück Till Eulenspiegel[] gespielt. Die moderne Wanderschmiere, man fährt im Auto, der Anhänger befördert die Requisiten, man spielt in Turnhallen, Wirtshäusern etc., man gibt sechs verschiedene Rollen, den Magister, die alte Frau, den Esel etc., man hat ungeheizte Garderobe, man bekommt 20 M. für den Spielabend und muss sich dafür beköstigen, man hilft sich gegenseitig beim raschen Umkostümieren (Gregory, um Gotteswillen, Du hast deinen Bauch vergessen! – er war aber schon als plötzlich abgemagerter Wirt auf der Bühne, weil er sich irrtümlich zu früh als König hergerichtet hatte und nur eben noch die Krone wegwerfen konnte.)
    Theater! In Wien ist nur das Burgtheater heilig. Ich beging das Sakrileg, dort über * Wilbrandt als Theaterfremdling[] zu schreiben. Jetzt kam die [A]ntwort darauf. Wilbrandtnummer des * Grillparzerjahrbuchs, mir zugesandt. Ein * Professor Glückmann 8 über W. Seine Höhe war Wien; in Rostock litt er an Überproduktion und schrieb viel Schwaches. Zum 70. Geb. bekam er ein Album; berufene Leute wie * Bettelheim, 9 * Klaar 10 etc. wollten ihn später würdigen, starben aber zuvor[]. Keine Silbe von meinem Buch, 11 trotzdem * Robert Wilbr. in Mein Vater Adolf W. es anführt, trotzdem die Conversationslexika unter Wilbrandt es als einzige Monographie anführen. Strafe für Missachtung des Burgtheaters: Nicht gedacht soll seiner werden! 12
    Nicht gedacht ... * Vossler, mit dem ich seit langem ganz auseinander (seit er nichts gegen wahrscheinlich viel für die Bes[e]tzung des Istanbuler Katheders mit * Auerbach getan hat), schickt mir ein Blatt der Frankfurter Ztg. Unter Annäherungen an Dante zeigt er eine neue Verdeutschung 13 an und eine * Danterede, die * Manacorda 14 im Harnackhaus gehalten hat. Er beginnt, im Jahre 21 habe nach all dem Festrummel ein kritischer Kopf halb zu Recht über den Fremden Dante 15 geschrieben. Der Name des kritischen Kopfes aber darf in einer arischen Zeitung nicht mehr genannt werden. Ich schrieb einen Dank an Vossler, halb freundschaftlich, halb ironisch und betont d outre-tombe. 16
    Ich vermag mich zum Tagebuch nur noch eben so schwer zu zwingen wie zu Privatcorrespondenz. Aber oft überfällt mich irgend eine Scene aus der geplanten Vita. Aber immer meine ich, vor allem sei dem unseligen XVIIIieme Treue zu halten. Und dabei werden die Herzbeschwerden beim Gehen täglich ärger.
    Ein Jahresrésumé 37 ist wohl unnötig. Die famosen 95 Seiten des * Rousseaubandes s. o. vorige Seite Schluß ; die Sommerfahrt nach Berlin, zur See und ins Riesengebirge; das fürchterliche Stillstehen der Zeit, das hoffnungslose Vegetieren.
     

 
1938
     

 
    Sonnabend, 8. Januar.
     
    [D]ie erste Woche war durch das Wett[ w ]er bestimmt. Ungeheure Schneefälle, ständiges Bemühen, einen Fussweg offenzuhalten, Unmöglichkeit, den Wagen herauszubringen. Morgens ging ich ein paarmal mit dem Schneeschieber unsere Zaunfront entlang; es verursachte mir derartige Herzbeschwerden, dass ich die eigentliche Reinigungsarbeit (stundenlange schwere Arbeit!) * Eva überlassen musste. Seit gestern starkes Tauwetter, aber immer noch Schneemassen draussen und der Wagen eingeschlossen; ich war mit Tram und pesdibus 1 in der Stadt und kam erschöpft zurück. Die Sorge um mein Herz verlässt mich nicht mehr, dabei werde ich immer dicker und rauche immer mehr. Und in diesem Monat vermag ich die Lebensversicherung nun wirklich auf keine Weise mehr aufrecht zu halten.
    Sylvester legte sich Eva früh hin, ich las den ausgezeichneten * Körmendi 2 vor, um zwölf stand E. für

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