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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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pflegt im Superlativ zu beharren. Die Hybris, die Brutalität der Cynismus der Sieger in ihren Wahlreden ist ein so ungeheuerlicher, die Beschimpfung und Bedrohung des Auslandes nimmt so tolle Formen an, dass einmal der Gegenschlag doch kommen muss. Und wir zweebeeden haben uns so eingelebt in unsere Enge und Not, dass doch immer wieder erträgliche Stunden kommen. Das Vorlesen Abends, die Arbeit am dix-huitieme, so aussichtslos sie ist. Heute wurde der kleine Theorieabschnitt zur didaktischen und deskriptiven Dichtung fertig. Zusammengeschrieben oder selbst gedacht? Wertvoll, wertlos? Auf jeden Fall geschrieben, gearbeitet.
    Legendenbildung mitten im 20. Jahrhundert. Der * Kaufmann Vogel erzählt mir allen Ernstes, und ernsthaft entsetzt, was bestimmt wahr und verbürgt sei und heimlich cursiere, weil die Verbreitung mit Gefängnis bedroht sei: In Berlin bringe ein Mann seine Frau zur Entbindung in die Klinik. Über ihrem Bett hängt ein Christusbild. Der Mann: Schwester, das Bild da muss weg, mein Kind soll nicht als erstes den Judenjungen sehen. Die Schwester: sie könne von sich aus nichts tun, sie werde Meldung machen. Der Mann geht. Am Abend telephoniert ihm der Arzt: Sie haben einen Sohn. Das Bild brauchte nicht entfernt zu werden, das Kind ist blind.
    * Frau Lehmann, die Aufwartefrau, zeigte mir das Abgangszeugnis ihrer * 15jährigen Tochter von der Berufsschule: Betragen sehr gut. EINSATZBEREIT.
    Keine acht Tage nach dem Einmarsch in Österreich sah man die geographische Karte des neuen Grossdeutschland in einem Schaufenster am Altmarkt. Sie MUSS lange vor der Affaire gedruckt worden sein.
     

 
    2. April. Sonnabend
     
    Wenigstens die Titel der Bücher, die ich in den letzten Wochen vorlas.
    * Ann Bridge: Frühling in Dalmatien. 2 Das ist die Autorin von Picknick in Peking, und dies Buch ist mir fast noch lieber als das erste.
    * Cronin: Die Citadelle. 3 Ärzteroman, Tendenz beinahe wie ein Dumasstück (die Rede vor dem Standesgericht!) aber ein Dichter und ein Erzähler.
    * Thomas Williamson So spricht die Erde 4 (The Earth told me) – sehr interessante[ r ] Eskimo-Erzählung, Zustand zwischen Primitivität und beginnender Kultur psychologisch im Punkte der Frau; beginnende Schätzung und Eifersucht. Aber kein richtiger Schluss, Aufhören ohne Durchführung.
    * Agatha Christie: Karten auf den Tisch! 5 Kriminalroman, gegen den * Wallace einfach und beinahe plump wirkt. Vielleicht zu compliziert, aber psychologisch interessant und humorvoll in der Selbstverspottung: die Gestalt der Kriminalschriftstellerin.
    * Christopher Motley: Kinder im Traum. 6 Fängt humorvoll an und widerstrebte mir dann so, dass ich nach ein paar Capiteln aufhörte. Pretiöse Schmonzes mit innerem Monolog und Gedankenflucht und überspitzten Seelenzuständen und Bildern.
    Jetzt * Kenneth Roberts: Die grüne Lady. 7 Der Arundelmann. Wieder ungemein gut, tröstlich ablenkend.
    Heute beiliegender gleichdatierter Brief an * Grete.
    Sonnabend ist immer der Tag der Arbeitsunterbrechung: Vormittags * Zahnarzt, gegen Abend Abwaschen, dazwischen Correspondenz, Tagebuch und so.
     

 
    5. April, Dienstag.
     
    Gestern der Tod * Felician Gess' 1 im 78. Jahr angezeigt. Seine einzige Lebensarbeit scheint in einer Publikation über den sächsischen Herzog * Ludwig den Bärtigen 2 und seine Beziehungen zu * Luther bestanden zu haben. Aber er war immer ein aufrechter Germane und widersetzte sich 1920 meiner Berufung. Nun sind meine intimsten Gegner an der Hochschule, die beiden * * Förster mit den drei Augen 3 und Don Quijote Gess in Walhall und hoffentlich werde ich sie nie wieder sehen. Aber einerseits: wie klein und lustig erscheinen mir jetzt meine damaligen Kämpfe und Ärgernisse; und andrerseits: wie tief wurzelt * Hitlers Gesinnung im deutschen Volk, wie gut war seine Arierdoktrin vorbereitet, wie unsäglich habe ich mich mein Lebenlang betrogen, wenn ich mich zu Deutschland gehörig glaubte, und wie vollkommen heimatlos bin ich. – Unter den täglichen Zeitungsbekenntnissen zu Hitler gestern eines von * Kowalewski 4 : ER ist uns von der Vorsehung gesandt. Vielleicht hat K. wirklich recht, jedenfalls tut die Vorsehung für Hitler seit fünf Jahren, was sie ihm nur an den Augen absehen kann, und wenn er ihr einmal unbequem werden sollte, wird er mächtiger sein als sie. –
    Gestern hat * Baldur von Schirach Braunau 5 zum Wallfahrtsort der deutschen Jugend bestimmt. Heut die Bestimmungen * Göbbels' für den Sonnabend vor der Wahl. Man

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