Klemperer, Viktor
entsetzlich abgearbeitet, täglich ac[h]t, neun Stunden im Steinbruch, die Landarbeit daneben, * Agnes ebenso mager, aber die * * Kinder sauber und artig und zufrieden und die ganze Familie wohl die glücklichsten Leute, die ich kenne, sicher im Diesseits und im wohlverbürgten Jenseits. Herzliche Aufnahme. – Am Schlageterplatz bei Pulsnitz hat man das grosse schwarze Versailleskreuz entfernt.
Dann setzte wieder kaltes, mehr Schnee- als Regenwetter ein. Trotzdem entschlossen wir uns gestern zur immer wieder aufgeschobenen Fahrt nach Leipzig zu * Trude Öhlmann. Die ihr zugedachten zwei Stühle gingen glücklicherweise auch in den geschlossenen Wagen. Abfahrt ½ 11. Die schöne Stra[s]se am linken Elbufer nach Meissen. Dort Verdeck auf. Spärliche Baumblüte, sehr heftiger kalter Wind, aber schöne Landschaftsbilder. In Deutsch-Luppa bekam E. ihr Mittag, am Nebentisch nahm ein Wachtmeister einen Autozusammenstoss zu Protokoll, die mattgesetzten Wagen sollten abgeschleppt werden, ein junges Mädchen sas[s] elend und benommen mit verbundenem Kopf da: Es gab einen Knall, ich fiel in die Scheibe, mehr weiss ich nicht. – Bei Wurzen kamen wir in einen richtigen Schneesturm; verklebte Scheibe, vernebelte Luft, glatter Boden. Um zwei in L. Rückfahrt bei milderem Wetter, ½ 5–¼ 8, gute Sportleistung, gutes Training das Ganze, aber heute totmüde. * Trude Ö. hat jetzt eine winzige eigene Wohnung. Klagt über den zwanzigjährigen * Jungen. * E. sagt: []amerikanische Tragödie, er will elegant sein, []ausgehen etc., hat kein Verständnis für die schwere Armut der Mutter. (Er war auf einer Radtour.) Sie erzählte aus der Bücherei, was ihr unter dem Siegel des Amtsgeheimnisses erzählt wurde. Einige Zeit vor dem Einmarsch in Österreich für die Gestapo genaue Feststellungen (Bücher und Zeitungen), wer unter den öst[e]rr. Professoren und Literaten Antifascis[t]isches veröffentlicht hatte. Diese Leute sind dann sofort verhaftet worden. JETZT wird die gleiche Arbeit für das czechische Gebiet geleistet. Es werde gesagt: Jetzt als erstes die Tschechei. Dann der Corridor, 1 aber in gütlicher Einigung, indem WIR den Polen ein Stück Litauen geben.
Heute wiegesagt recht müde. Ich las am Vormittag lange (bei ständigem Schneetreiben die * Sayers 2 vor. Ein ausgezeichneter Roman. Grosses Bild des Frauencollege in Oxford, viel Humor, viel Psychologie und doch durchaus Kriminalroman. Am Nachmittag rettete ich mein Gewissen, indem ich die erste halbe Seite des * Delilleabschnitts schrieb. Dieses ganze Buch Poetae minores ist viel zu lang geworden und ein Opus für sich. Aber wozu jetzt umarbeiten; ich muss weiter und das Ganze zuendebringen. Gut, dass ich keine Wahl habe. Könnte ich unmittelbar nützlichere bezahlte Arbeit leisten, so täte ich es wohl. Wie die Dinge liegen ist die Frage nach dem inneren Wert und der äusseren Erfolgmöglichkeit – ihn zweifle ich übertäglich, sie täglich und stündlich an – vollkommen überflüssig. Ich habe nichts besseres zu tun, ich kann nicht untätig bleiben: also tu ich dies. – Wenn mir nur Zeit bliebe. Kein Tag, wo sich mein Herz nicht bemerkbar macht. Aber welchen Zweck hat es, auf das Ende hinzustarren? Also weiter. Und wenn dann noch Zeit bleibt die Vita. Und dann Lingua tertii Imperii. 3 Und dann Engli[s]ch lernen und die amerikanische Literatur! Und vorher kreuz und quer durch England und USA fahren können! Es wird wohl nichts mehr von alledem in Erfüllung gehen. Aber das Vernünftigste ist immer, sich zu sagen: Vielleicht doch! –und danach zu handeln. Und wenn man keine Wahl hat, tut man eben dies Vernünftigste.
Der neue englische Kriminalroman. Gelesen in letzter Zeit:
1) * A. Christie Karten auf den Tisch
2) * James Hilton Ein zweiter Unglücksfall[] (Murder at School) 4 – faul – von 3 abhängig oder umgekehrt?
3) * Dorothy Sayers Gaudy Night (Aufruhr in Oxford), Vorwort von * Fehr – hervorragend, weil über den Rahmen des Krim.-Romans greifend.
28. April, Dölzschen,
Fahrt zu * Grete: Strausberg, Berlin, Frankfurt a. O., 23.–27. 4.
Im ganzen etwa 800 km. (Zähler längst entzwei.) Im ganzen viel Wetterglück, trotzdem die Kälte der letzten Zeit anhielt. Kein Nachtfrost, kein Schnee, während der Fahrt kaum Regen, die Frankfurter Fahrt sogar bei herrlichem Sonnenschein. Der Bock, der noch am 22. derart streikte, dass ich einen Reparateur heraufkommen lassen musste, hielt sich tadellos, lief glatt und andauernd; im 80 km.-Tempo;
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