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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Gewissensqualen u. verrät sich dann selber durch eine Art Beichte. Das Gewissen ist der beste Agent der Kriminalpolizei. – Alle in Frage kommenden Menschen sind wiegesagt ohne Tiefe, Durchschnittsnaturen auch im Verbrechen – aber sie sind geschildert , der Kriminalfall ist technisch u. psychisch ausgezeichnet vorbereitet u. aufgebaut, u. in den letzten Seiten – das verfolgende Gewissen – geht die Schnoddrigkeit der früheren Kapitel in ein kaltes u. unpathetisches Constatieren über, das starke Wirkung tut. Der Raub Mord wird im ganz einsamen Gruna-Blasewitz in einer Villa an der Elbe verübt. Einige Striche – Berlin, das stillere Dresden, die Ehre des Reserveoffiziers – geben Zeitcolorit. Der Roman ist wesentlich besser als der auch nicht ganz üble Zug nach dem Westen, 1 den wir im vorigen Somer neu lasen. –
    Am 12. 8 (heute vor 8 Tagen) waren wir zum (frühen) Abend * * Kühns Gäste. Wir allein. Die Fahrt nach Weintraube, der kleine Spaziergang draußen in der Lößnitz zu K. s, danach gegen 12 Uhr, zur Elektrischen: das war für uns schon Ausflug u. Reise und eine große Abwechslung. Der Abend mit Kühns allein (u. ihrer bildschönen Angorakatze, die uns früher gigantisch, nun ziemlich klein vorkam) verlief sehr hübsch. * Kühn, den ich jetzt häufig auf der Landesbibliothek treffe, gibt * Hitler nach wie vor große Chancen. Er werde sich halten, sein Werk werde modifiziert werden aber nicht fallen. Deutschland Das deutsche Volk, vielleicht die gegenwärtige Menschheit überhaupt, wolle es nicht besser. – * Frau Kühn erzählte über Not der Anwälte, der christlichen. Es gebe keine Concurse mehr – ein Nationalsocialist macht nicht Concurs, da wird all so etwas zurechtgebogen samt dem deutschen Recht. Ein paar Tage hieß es in den Zeitungen: 43 % weniger Concursverfahren in Sachsen als unter der alten Regierung! – Am 13/8 war * Annemarie bei uns. Sie erzählte verschämt (Annemarie verschämt!) ein Kollege mit Hakenkreuzbinde habe ihr gesagt: Was soll man tun? Das ist wie die Camelia dame binde für Damen, Rotes Kreuz sehr sehr peinlich u. nicht zu umgehen. * Frau Krappmann , die stellvertretende, der * Mann Postschaffner: []Herr Professor, der Verein Geselligkeit der Beamten von Postamt A 19, wird zum 1. X von den Naz. übernommen. 2 Es ist beschlossen worden, vorher ein Bratwurstessen für die Herren u. danach Kaffeetafel mit Damen zu veranstalten. Damit fast nichts in der Kasse bleibt.
    Roman, oder zu unwahrscheinlich für Roman. Aus München habe ich die Papiere meiner Kriegsteilnahme 3 noch immer nicht erhalten. Wenig Phantasie gehört zu dieser Entwicklung: daß München die Papiere nicht mehr findet – es kam ja schon eine Rückfrage –, und daß ich hier daraufhin entlassen werde. Am Mittwoch Mittag, d. 16., nun spricht mich in der Prager Straße ein anscheinend junger Offizier der SA an. Drei Sterne auf dem Achselstück, EK I u. anderer Orden. Gutes freundliches Gesicht, mir ganz unbekannt. []Verzeihung? Haben Sie nicht den Krieg bei den Bayern mitgemacht? Bei der 6 Batt. des 6. bay. Feldart. Regts? – * Zinsmeister. Ich tat, als erinnerte ich mich seiner, hatte aber keine Ahnung. Ich tastete, wie er hierherkome, was sein Privatberuf sei. Elektriker. Ich bin hierher kommandiert zu Koch & Sterzel – * Koch unser Ehrendoktor, 4 ich saß als Senator während einer Festlichkeit bei neben ihm, er bot mir zu halbem Preis einen großen Radioapparat an; das ist etliche Jahre her – danach soll ich festen Posten bei der Regierung bekommen (ich glaube der Badenschen). Ich verabschiedete mich mit ein paar freundlichen Worten. Hätte er die Uniform nicht getragen, so wäre er wohl zu mir eingeladen worden. Auf alle Fälle: ein Zeuge. Er sagte, er habe mich sofort erkannt. (Nach 18 Jahren!)
    Am Mittwoch Dienstag 15. 8. eine Autobus-Fahrt Ins Blaue. Die große Mode – des Kleinbürgers, der älteren Leute, der am Gehen Behinderten. Als wir um 2 am Bahnhof abfuhren, ging auch gerade die Blaufahrt der Elektrischen an (noch prononcierter der Kleinen Leute, weil billiger, 1,50 gegen 3–4 M. der Autos.) Voran eine Tram mit der Musik-Kapelle der Schaffner, dann neun oder zehn volle Wagen. Die Autos fuhren drei Wagen, jeder mit etlichen dreißig Gästen (ein paar auf Klappstühlchen und einem Manager u. Conférencier, der kleine scherzhafte Reden hielt, beim Aussteigen half usw. Unser (dritter Wagen) war glücklicherweise offen, und als es bei der Rückfahrt ein paarmal regnete, hatte unser

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