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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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schon ruhiger über die Sache dachte u. einen parierenden Schriftsatz im Kopfe fertig hatte, erzählte ich * E. möglichst untragisch (leichter, als ich die Sache de facto nehme) davon. Die Wirkung war dennoch katastrophal. Ganz Zwei Tage zuvor hatte mir Diesterweg mein Frankreichbild abgelehnt, weil es rein rückwärts gewandt sei und die völkischen Gesichtspunkte außer acht lasse: so waren alle Verdienstmöglichkeiten abgeschnitten; u. da auch alle, absolut alle Versuche der Geldbeschaffung zum Bau scheitern, und unsere finanzielle Lage immer verzweifelter wird – ein Beamter bietet heute keine Sicherheit mehr, u. nun gar ein nicht arischer! –, u. da der gefürchtete Winter heranrückt, so ist E. wieder einmal der Verzweiflung nahe. Selbst geglückte Ausflüge, kleine Spaziergänge etc. bringen nur momentane Besserung. Gleich darauf heißt es immer selbstquälerisch: Krüppelvergnügen!
    Ich lese vor, so viel ich irgend vermag. Manchmal versagen die Augen, besonders gegen blendendes Tageslicht bin ich furchtbar empfindlich; manchmal (von gestern zu heute z.B.[)] lese ich an E.s Bett oder vorn bis in die tiefste Nacht. (Wir kamen um ¼ 3 zur Ruhe; * Annemarie war bis 11 unser Gast gewesen, dann las ich mich im * Rudolf Lindau fest. 1
    Vor zwanzig Jahren habe ich * R. Lindau gelesen u. damals ein Feuilleton für die Voß Ztg. über ihn geschrieben. Jetzt sind wir beide erstaunt a) über seine dichterische Potenz, b) über seine Vorausnahme späterer Entwicklung, c) über seine Verwandtschaft mit * Conrad. Der Gast , 1882 geschrieben. Die verhüllte Stimmung, ein Ehebruch wird nicht ausgesagt, sondern an den Gewissensfolgen deutlich gemacht; die leise Mystik der schicksalhaften vorgeträumten Liebe; dabei die scharfe Realistik, der Internationalismus, das Seefahrer- u. Abenteurerwesen. Die biedere schottische Familie, die oberflächliche u. bigotte Russin, der unglückliche Deutsche. Und die Technik des Erzählens. Ein Kapitän weiß ein Stück der Handlung, das nächste ergänzt ein anderer Mann. Und Schiff u. Goldlager u. London u. Edinburg und San Francisco. Ich besitze viele Bände Rudolf Lindau u. will ihn weiter lesen. –
    Vorher las ich vor * Ludwig: * Schliemann . 2 * Kühn hatte es uns geliehen mit dem Bemerken, es sei Ludwigs bestes Buch, weil es keine umfassende Historie, mehr ein Einzelschicksal enthalte u. so seinem Simplifizieren (hier der Generalnenner Goldsucher) sich bequemer füge. Vielleicht hat K. recht damit. Jedenfalls ein ungeheuer interessantes Buch in seinen Kaufmanns = , wie in den Grabungsjahren. Fraglich blieb mir bis zuletzt, ob der Mann wirklich ein Genie war. Diese Art des Sprachenlernens – 17 Sprachen ohne eigentliche Inhalte – enthält doch eigentlich die Genialität des Oberkellners. Und seine realistische * Homerauffassung ist auch im Grunde ohne Verständnis. Andrerseits der ungeheure Kaufmannserfolg u. die gewaltige Monomanie des Gräbers ... Jedenfalls kann kein Roman interessanter sein.
    Am 19. August sahen wir einen Abenteurerfilm, romanesk, aber gut gemacht, gut gespielt, mit gelegentlichem Humor, ohne falsches Pathos u. falsche Sentimentalität. Der Stern von Valencia 3 Ein Mädchenhandel-Schiff[,] ein Polizeiboot. Auf dem Schiff, verschleppt, die Frau des Sergeanten vom Polizeiboot. Und Variété-Scenen, Polizei, Bar, Spieler, Verfolgung zur See, Schiffsmaschinen im Gang, Kämpfe, Mord y todo. Eifersucht, Liebe, treue Kameradschaft, happy end. Die Heldin (ohne alles Exagerieren) * Liane Haid, 4 trocken ruppig lustig ihre Kollegin im Variété * Ossi Oswalda. 5 Besser noch als der liebende Gatte sein Sergeantkamerad José in lustiger u. bezechter Rolle, sehr witzig auch ein Heizer auf dem Stern v. Valencia: * W. Schur. 6
     
    [Einschub zu S. 103/00052]
     
    Ein Tag darauf: Ultimatum der Regierung. Binnen 4 Tagen hätte ich mein bisher lediglich wahrscheinlich gemachtes Frontkämpfertum zu beweisen.
     
    Am selben Abend ein Begleitfilm, der 75jährige * Wüllner 1 ein paar Verse aus dem * Faust II sprechend. Ich glaube, ich habe den Alten in früheren Jahren persönlich gehört. Wie fremd ist dieses Burgtheaterpathos geworden! Derart d outre-tombe, 2 als wenn [man] in der Com. frç. 3 * Mounet-Sully 4 den * Corneille sprechen, vielmehr singen hörte.
    Einmal, einen Sonntag Vormittag war ich allein oben in Dölzschen u. ging eine halbe Stunde mit * Dember spazieren, ein paar Tage danach waren Dember u. * Frau zum Abendessen bei uns. Er ist furchtbar verbittert,

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