Klemperer, Viktor
ein bißchen 18 Jh. , es selber, über es, u. alle Tage decouragierter: ein * blindes Werkzeug fordert Gott von mir; 9 ich bin zu alt zum frechen Durchgreifen.
Eine zweite Fahrt ins Blaue, gestern Montag, u. wieder sehr befriedigend. Diesmal eigentlich durch den Dresdener Alltag, den ausgeglicheneren Norden – u. doch sehr hübsch. Ein Riesenbogen: über die Nossener Brücke, durch die Vorstadt Cotta, Cossebaude, Niederwartha. Das Stauwerk, das wir im Entstehen sahen, ist jetzt fertig. Bei Kötzschenbroda über die neue Elbbrücke – die Feier ihrer Einweihung machte ich vor ein paar Jahren als Senator mit. (Wie weit liegen Ehren u. das Gefühl der Gleichberechtigung hinter mir!) Aufwärts in Heidewald, die Sektkellerei dort oben, die Teiche, das unverkennbare Moritzburg (zwischen mittelalterlicher Burg u. Rokokospiel) erweckten Erinnerung an das einzige Professorium[], das wir mitgemacht – wir tanzten sogar zusamen; es war das Rektoratsjahr * Brucks. Dann ging es östlich über Hochebene, in der Ferne tauchte immer die feine Linie des Keulenbergs auf, einmal merkwürdig nahe. * Eva erhebt mehrfach die Frage, wieso man sich so stark auf einer Hochebene fühlt. Ob nur deßhalb, weil man es weiß ? Mein altes Problem: wie weit fördert, wie weit hemt Wissen die Phantasie? Orte u. Örtchen: Lausa, Grünberg u., schon in Südrichtung wieder, Schönborn. Dann, das Fahrtziel in einem Waldstück, ziemlich reizlos, ziemlich künstlich, ziemlich primitiv, das große Rechteck eines Schwimmbades, ein Restaurantgarten u. Restaurant davor: Liegau . – Ein Bad für ganz kleine Leute. Der Wirt führte uns nachher herum. Am Waldrand Wochenendhäuschen, Bretterbuden eigentlich, die er auch auf ganze Wochen (10 M) u. länger vermietet. Beköstigung gibt er für 2,45 den Tag. Ein Arbeiter, etwa Monteur, im Bademantel zeigte glücklich, wie er hier mit Frau u. Kind hauste. Heute gab es Nudeln, wir brauchten für das Kind nichts besonderes zu bestellen. – Abends auf dem Motorrad komt mein Bruder; dann bleibt er einen Tag hier, u. ich fahre in die Werkstatt ... Es gab wieder komische Vorträge. Einer sagte: Sie denken wohl, ich bin ein Komiker? – Ein Künstler bin ich. (Die alte Vorstellung, daß komische Kunst niedriger im Rang steht) Jeder Wagen hat seinen Manager u. Komiker mit, sie haranguieren sich untereinander wie Clowns. Politik ängstlich vermieden. – Über Radeberg durch die Heide, die Neustadt zurück. Diesen Weg jagten wir einmal Nachts mit Hirches von Neustadt Görlitz her; der Scheinwerfer fiel phantastisch auf die weißen Steine oder angekreideten Stämme der Kurven. Diesmal im schönen abendlichen Tageslicht.
Montag 28 August
Am Sonnabend machten wir eine dritte Fahrt ins Blaue. Sie war ein[e] genaue Wiederholung der ersten, noch einmal auf den beschriebenen Wegen nach Lübau . Diesmal hatte ich landschaftlich mehr davon als das erstemal. Wir ließen einen Teil der Vorträge fahren u. gingen die schöne Landstraße auf den Rabenauer Grund zu. Drüben über der Waldschlucht als stattliches Städtchen Rabenau. Wir stiegen sogar ein wenig in den Wald hinab, hörten das Rauschen des Baches unten, sahen die Häuser der Spechtritzer Mühle. Auch die Fahrt durch Tharandt u. die Edle Krone gab mir viel. Und auf dem Rückweg die prachtvolle Kehrenstraße, ganz u. gar Gebirge von Sonsdorf herunter nach Großenhain. 1 – In dem Kabaretstückchen, das wir noch mitnahmen, leistete sich einer einen Scherz, der heute als sehr kühn gelten muß u. ihn das Engagement kosten kann. Eine Dame will Dauerwellen onduliert haben. []Bedaure[], sagt der Friseur, []darf ich nicht. – Weswegen? – Sie sind Jüdin, u. einem Juden wird in Deutschland bei Strafe kein Haar gekrümt. – Die Fahrt war mir doppelt beeinträchtigt. Einmal: meine Augen werden immer lichtempfindlicher, schwere Augenschmerzen nach dem Hinterkopf zu quälten mich die ganze Zeit u. noch den ganzen Abend. Sodann: am Morgen war ein maaßlos feindseliges u. vernichtendes Sachverständigen-Gutachten im * Hueberprozeß gekomen. Danach soll mich (meine Handschrift) fast alle Schuld treffen, Hueber 514 M gegen meine Forderung von 600 aufrechnen dürfen. Wenn das durchgeht, erhalte ich nicht nur gar kein Honorar mehr, sondern muß noch 2, 300 M. Prozeßkosten aufbringen – das Gutachten allein kostet 132 M. Ich behielt den ganzen Tag über die Sache für mich, um E., die wieder mit den Nerven sehr herunter ist, nicht zu verstören. – Gestern erst, als ich
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