Klemperer, Viktor
vereinsamt und von seinem Unglück besessen, ein ganz um sein Gleichgewicht gebrachter, fast gebrochener Mann. – Sehr interessant, erst rätselhaft, war mir das folgende. Ich sagte, ich weiß nicht mehr in welchem Zusamenhang, der u der habe sich merkwürdig der Mystik verschrieben. Darauf D. Das ist eine allgemeine Erscheinung bei alternden Physikern; sie wenden sich vom Humanismus ab. Ich verstand ihn erst nicht, weil ich gewohnt bin Humanismus als Idealismus dem exakten Positivismus entgegenzusetzen. D. dagegen nahm den Begriff als Heidentum u. Richtung auf das Irdische. Es ist sehr wichtig das Wort, den Begriff auch so aufzufassen.
Ich blättere noch immer in meinen alten Reisenden, den Lettres édifiantes, 5 * Lahontan 6 usw. Ich bin noch immer sehr hoffnungslos was mein 18 e siècle anlangt.
Ein Tag darauf: Ultimatum der Regierung. Binnen 4 Tagen hätte ich mein bisher lediglich wahrscheinlich gemachtes Frontkämpfertum zu beweisen. Aus München kam heute meine B Frontkämpfer = Bescheinigung. Sie lautet auf ein Gefecht u. Stellungskämpfe in französisch Flandern vom 19/XI 15–19/II 16[]. * Eva sagte gleich, das stimme nicht, u. tatsächlich fand ich im Nachblättern meiner Briefe, daß ich noch am 3. April vorn war u. erst an diesem Tage ins Lazarett kam. Ich blättere ungern in den staubigen alten Bündeln. Übrigens genügt die Bescheinigung; ich werde nicht erst reklamieren.
Mittwoch Vorm. 6. 9. 33 .
Am Donnerstag 31/8 unsere vierte Blaufahrt . (Wir tun alles serienweise). Ich hatte eine Schutzbrille mit u. ersparte das erstemal alle Kopfschmerzen. Landschaftlich besonders schön. Durch die Neustadt zum Wilden Mann[]. Boxdorf, Dippelsdorf – also wieder die Heide, Teich u. in der Ferne Schloß Moritzburg, Weinböhla, Niederau, Meißen. Über die Elbbrücke am Dom; ohne Aufenthalt längs der Elbe zurück; schönes Schloß Gauernitz; bei Niederwartha wieder über die Elbe, durch die Lößnitz aufwärts ( Zitz Zitzschwitz), zur Friedensburg über Kötzschenbroda – Ein großes Lokal, prachtvolle Terrasse über dem Fluß. Unten diesseits ein breiter Streifen ganz mit Häusern bebaut, aber jedes Haus ganz ins Grüne getaucht; jenseits der Elbe, das runde Staubecken des Wasserwerks, darüber wie ein kleines Fort das Pumpwerk. Sehr weiter Blick. Wie ein einziger lockerer Stadtstreifen zieht sich Vorort an Vorort, bis eine Hügelkante den Abschluß bildet. Weiter hinten zu beiden Seiten des Flusses das eigentliche Stadt = u. Turmmassiv Dresden. Gegenüber der Friedensburg flußauf = und = abwärts Wiesen = u. Hügelgelände. Die Friedensburg lehnt sich an Heidewald der mit parkartigen Teilen, der zum Fluß hinabsteigt. Wir gingen ziemlich lange im Wald spazieren; den Cabaretbetrieb u. die immer gleichen Nummern der Vortragenden kennen wir nun ja schon. Unschön war eigentlich nur die Kaffeetafel selber. An 120 Leute (drei Autobusse) saßen enggepfercht in gedeckter Veranda. Dann kurze gerade Heimfahrt, und bald nach sieben aßen wir auf dem Bahnhof zum Abend.
Heute nun – ein wunderbarer, fast kitschiger Herbsttag – wollen wir die Fahrt durchs Blaue ins Schwarze mitmachen. Da zahlt man 4 M u. bekommt auch das Abendbrod geliefert u. ist erst um 11 zu Hause. Es sollen 400 Leute in elf Wagen fahren. Wir haben Plätze auf Feldstühlen im ersten Wagen erhalten.
Am 29. 8 ein hübscher u. witziger Kino-Abend: Roman einer Nacht []. 1 Kriminalfilm, Traum u. Wirklichkeit. Eisenbahnfahrt, Lektüre eines Kriminalromans, man sucht (wirklich) einen Verbrecher, Flirt, Verliebtheit – die Heldin muß ihren Partner für einen Verbrecher halten. Betrübnis. Zu Haus schläft sie ein, träumt einen wilden Kriminalroman u. wacht über dem entscheidenden Schuß verstört auf. Sie muß nun – alles in Zeiteinheit von wenigen Stunden – auf eine Gesellschaft; dort findet sie den jungen Mann des von unterwegs, den Verbrecher des Traumes wieder: es ist der beste Kommissar ihres Vaters des Polizeipraesidenten, seine eifersüchtige Freundin ist seine Schwester – happy end. Alles durchaus filmisch. * Liane Haid, * Gustav Diessl; 2 sehr gut seine Schwester * Evy Bos 3 u. ein komischer Diener und Amateurdetektiv * Paul Kemp. 4
Am Sonnabend 2/9 bei * * * * Köhlers . Hübsch u. friedlich wie immer. Es tut wohl mit Ariern zusamenzusein, denen die gegenwärtige Tyrannei so furchtbar ist wie uns selber. Die jungen * * K. s begleiteten uns nach 12 Uhr zu Fuß nach Hause. Wir nahmen sie zu einem Schlußwhisky zu uns
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