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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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hinauf, indem fing es an zu regnen. Wir saßen bis ½ 3 u. kamen um 3 ins Bett.
    Ich schreibe ausführlich von Vergnügungen; sie sind die Ausnahmen, u. unser Leben fließt im Allgemeinen sehr unglücklich hin, ohne Prase: sehr unglücklich. * Eva ist immerfort leidend u. schwer deprimiert; ich selber quäle mich ständig mit Herz- und Augenbeschwerden, mit Todesgedanken. Immerfort die sinnlose Tyrannei, Unsicherheit u. Ehrlosigkeit unserer Lage im dritten Reich. Meine Hoffnung auf baldigen Umschwung schwindet. Feste über Feste, Lüge, Feigheit, Reklame, Bedrückung überall. Die Straßen gestopft von S.A. Jetzt eben tobte der Nürnberger Parteitag. 1 Die Presse verhimmelt * Hitler wie Gott u. seinen Propheten in einem. – Dazu unverändert weiterfressend das Elend der Hausaffaire. – Wenn Eva musizieren könnte, wäre alles nicht halb so schlimm u. vielleicht ganz gut.
    Ich lese immerfort zum 18. Jh. Bliebe ich lange genug am Leben, so würde ein gutes Buch zustandekomen. Aber ich brauche Jahre (Plural) dazu. Die Augen versagen allzuoft im Arbeiten, allzuoft am Vormittag schlafe ich auch ein. Dennoch gibt mir das Studium Halt u. Trost. Heute früh notierte ich die * Dialoge Lahontans. 2
    * Walter Jelski, 3 der ewige Bohémien, bat uns in einem hübschen Brief aus Basel, ob er den Winter als Mädchen für alles bei uns verbringen könnte. Wir hätten ihn wirklich nicht ungern aufgenomen, mußten aber (wirklich: mußten ) ablehnen, weil uns das Geld fehlt. Hoffnungslos sind unsere Finanzen. * Gutkind, um seine Stelle am Dolmetscher-Institut Mannheim gebracht, schrieb einen Brief aus Paris. Er arbeitet frz. Sportsprache. Ich schrieb ihm: über Sportsprache müsse man arbeiten, wie * Hettner 4 die Aufklärung behandelt habe: England/Amerika, Deutschland, Frankreich. In dieser Dreifaltigkeit ergäbe sich die schönste Studie zur Kulturkunde u. idealistischen Philologie. Zur Lage schr oder zum Trost schrieb ich ihm nur (auf offener Karte): wir plaudern noch einmal es chambres des dames 5 cf. * Joinville, 6 éd. * Wailly, 7 § 243 Wie zu Zeiten der Encyclopédie! 8
    * Frl. Günzburger bat mich aus Paris, sie an den Vorsitzenden der Alliance israélite, 9 den Indologen * Silvain Levy zu empfehlen. Ich hatt tat es in einem deutschen Brief.
    * Lionello Fiumi 10 schickte mir in Maschinenschrift die Übertragung meines Artikels: Der Gedanke der Latinität in Deutschland . Übersetzer ist * Eugène Bertaux. 11 Ich hatte von dem W a nderpokal geschrieben, den * Lerch 12 für das beste Molièrebuch 13 verteile. Bertaux las W u nderpokal u. übersetzte: coupe mervailleuse. Sonst hat er gut übertragen. Der Artikel ist vor dem Umsturz geschrieben.
    Ich lese viel * Rudolf Lindau vor. Im Brockhaus steht als Lit. Nachweis neben * Spiero 14 : Klemperer Biogr. Jahrbuch 15 1910. War mir ganz entfallen. – Robert Ashton 16 interessant in seiner Schablone, Zeitgebundenheit, Betonung des Gerührtseins, des sentenziösen Pessimismus. Muß ein Erstling sein. Die Novellen ausgezeichnet. Frappante Ähnlichkeit mit * Conrad. In seiner Nachlese: Drei Novellen des Joseph Conrad.
     

 
    Dresden, Freitag Nachm 15/9 33 .
    Die große Fahrt ins Blaue und Schwarze, die fünfte u. wahrscheinlich die letzte ( die erste nach Lüben, 2. nach Liegau 3. nach Lüben, 4. Meißen – Friedensburg wird wohl für dieses Mal die letzte gewesen sein, denn nun ist schlechtes Herbstwetter mit frühzeitiger Dunkelheit an der Reihe. Diese letzte Fahrt war landschaftlich die weitaus schönste u. abwechslungsreichste, nur zuletzt auch sehr anstrengend. Zwölf Wagen mit 500 Leuten fuhren erst in der Richtung auf Heidenau. Prachtvoll klar u. nahe die phantastischen Steine der sächs. Schweiz. Dann nach Lockwitz – Groß Borthen – Röhrsdorf – Maxen – Häslich – Schlottwitz – Glashütte – Cunnersdorf – Reinhardtsgrimma. Ich habe die Karte, das Zackeln nach Osten, Norden, Süden, im Schreiben nicht vor Augen, aber es war soweit eine Fahrt über ziemlich freies Hochplateau u. die sächs. Schweiz in der Ferne. Es kam dann ein (ich weiß nicht ob vor oder nach der Kaffeepause, also vor oder nach Reinhardtsgrimma, ich glaube nein, aber sicher vorher[)] eine Strecke tiefen Grundes, ein Weg durch dunklen, dichten schönsten Nadelwald, ganz und gar Erzgebirge im Contrast zur helleren Landschaft. Und aus dieser dunklen Tiefe ging es dann mit erstaunlicher Leistung der schweren Wagen steil bergauf zu dem hochgelegenen Kaffeedorf. Dirt hielt der Herr Bürgermeister

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