Klick mich: Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin (German Edition)
Woche neue ein. Mit einem Klick rette ich die Welt, das ist die Absicht. Klicken für Ideen, für Protest. Es gibt inzwischen massenhaft Politklicker. Sofa-Aktivisten. Ist es tatsächlich eine Verbesserung, wenn sich Menschen so populistisch und oberflächlich mit den Problemen in Afrika beschäftigen? Zufällig geraten wir auf eine Seite im Netz, werden Zeuge, wie Kinder sterben, weil sie am falschen Ort geboren wurden. Wir sehen ihnen dabei zu. Wir filmen sie, stellen sie aus. Und die werbefinanzierten Portale ziehen daraus Profit, je mehr wir klicken, desto mehr. Wir beobachten, ohne uns ernsthaft dem zu stellen, was zu diesem unnötigen Leid und Elend führt. Gefällt mir, gefällt mir nicht.
Die neuen Kommunikationsformen überwinden die Distanzen und bringen uns jeden Ort der Welt ins Wohnzimmer. Doch bringen sie uns dadurch Nähe? Macht es mich nicht einfach nur sinnlos betroffen?
»Du musst dir deiner Begrenztheit bewusst wer den. Dann kannst du auch andere akzeptieren, weil sie andere Fähigkeiten und Kompetenzen in ihrer Begrenztheit haben.« Diese Worte finde ich in einem Interview mit Vilem Flusser. Er spricht von Demut und dass ich nicht dafür verantwortlich bin, »ob in der äußeren Mongolei Demokratie eingeführt wird oder nicht«. Mir gefällt das, auch wenn es unbefriedigend ist. Denn Flusser hat recht, wenn er sagt, dass die Ethik des Konkreten im Endeffekt wie Nationalismus ist, denn sie bezieht sich nur auf das Unmittelbare in meiner Umgebung. Auch wenn diese Umgebung virtuell ist.
Trotzdem gibt es auch bei uns moderne Helden. Echte Aktivisten, die ihre Arbeit den Veränderungen widmen, die vom Sofa aufstehen. So wie Mortensen. Kleinkriminelle Freunde zeigten ihm, wie man digitale Sicherungssysteme knackt. Kleine Jungs – der größte Feind der CIA im digitalen Zeitalter. So wurde aus Mortensen ein Hacker. Und das Hacken gab ihm den Glauben daran, etwas bewegen zu können, zurück. Hacken ist eine Philosophie radikal eigenverantwortlichen, regelbrechenden Handelns. Mortensen lernte, »die Welt« zu programmieren. Er lernte, Einfluss zu haben. Seit er allerdings öffentlich über das spricht, was er tut, häuft sich der Hass gegen ihn. Inzwischen hat Mortensen ein paar Nachrichtendienste gegen sich. Es bleibt nicht ohne Folgen, wenn man Rebellen unterstützt und ihnen erklärt, wie sie sich der staatlichen Observation entledigen können. Und so anonymisiert Mortensen zunehmend sein eigenes Leben. Doch Datenschutz konsequent zu leben erfordert heute große Hingabe.
Wie man sich im Netz mehr oder minder unerkannt bewegt? Ist gar nicht so einfach!
(Es folgt: eine Anleitung)
Schecks und Kartenzahlung sind tabu, alle Zahlungen müssen bar getätigt werden. Keine Briefe und Post an die tatsächliche Adresse. Generell darf die Adresse nicht notiert sein. Auch nicht beim Meldeamt. Damit ist bereits die Grenze des Legalen überschritten.
Dann: Verschlüsselung ist das Herz eines datenschutzbewussten Lebens. Verschlüssle alle Verbindungen, die du aufbaust. Gib nie dein Geburtsdatum an, denn viele Datensätze, vor allem in Behörden, sind darüber zugänglich. Passwörter müssen individualisiert und regelmäßig geändert werden. Sie bestehen idealerweise aus circa 30 Sonderzeichen. Das Netz kann nur eingeschränkt genutzt werden. Nach jeder Reise und jedem Scan durch die Sicherheitssysteme etwa am Flughafen ist ein neuer Laptop notwendig, denn es werden nicht selten Spionageprogramme bei solchen Sicherheitskontrollen installiert. Ohne dein Wissen.
Alles muss über Proxys laufen, Zwischenstellen, die den Ursprung der Daten verschleiern. So funk tioniert beispielsweise » TOR «. TOR steht für The Onion Router: Wie bei einer Zwiebel gibt es mehrere Verschlüsselungsschichten, die mehr oder minder unabhängig voneinander sind. Zumindest so unabhängig, dass sie einzeln ver- und entschlüsselt werden müssen. Im Grunde genommen funktioniert es wie Stille Post in der Schule. Zettelchen werden weiter- und zurückgegeben, und jeder kennt nur das unmittelbare Ziel und seine direkten Vorgänger. Ein Proxy unterbricht den Datenfluss, schaltet sich dazwischen und führt die Observatoren damit in die Irre. Damit TOR effektiv funktionieren kann, muss es viele Knotenpunkte ge ben. Jeder, der einen Proxy auf dem eigenen Rechner laufen lässt, leistet digitale Solidarität, mit den Menschen, die Sperren und Einschränkungen in ihren Ländern umgehen können.
Man schenkt diesen Menschen quasi einen Tarnumhang.
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