Klickpfiff
nun mehr auf seine Seite als auf sein Gesicht.
Geräusche erfüllten sein Leben – wie das Leben aller Delphine – mit einer Art sanfter Hintergrundmusik, auch wenn sie nur einen kleinen Teil seines Gehirns in Anspruch nahmen. Die verschiedenen Laute umgaben ihn von allen Seiten so vielfältig wie das Wasser selbst.
Die gesamte Kette seiner Existenzen war bei ihm, wenn er durch das Wasser schwamm. Während er sich durch die Gegenwart bewegte, begleiteten ihn die ständigen Echos der Vergangenheit in der gleichen Art, wie das Echo seiner Klickgeräusche von den Wänden des Beckens zu ihm z u rückkam und ihm die Entfernung angab. Sein Leben vollzog sich in einer Decke von Erfahrungen, die so dicht wie seine Haut war.
Er drückte eine Flosse an seinen Körper und drückte ihr Gegenstück auf der anderen Seite von sich weg, glitt in e i nen Halbkreis, der ihn in die Gegenrichtung brachte. Sein Körper folgte seinem Kopf in einer eleganten Kurve.
Als er seinen Kopf nach unten drückte und ein Klicken von sich gab, fing er beim Weiterschwimmen das Echo mit seiner Unterseite auf. Obwohl er es nicht so hören konnte, wie er die Klickgeräusche zur Entfernungsmessung hörte, spürte er doch mit seiner Haut die kaum merklichen Verä n derungen, die sich im Wasser vollzogen. Als er bei der let z ten Parabel seiner Wendung mit seinen gespaltenen Flossen die Wasseroberfläche durchbrach, strich die Luft wie eine Feder darüber hinweg.
Sie folgten seinen Bewegungen an seiner Hinterseite und trieben ihn so schnell in die Gegenrichtung, als hätte es eine Wende nie gegeben.
Er versetzte seinen Körper in schnelle Wellenbewegu n gen, die seine Geschwindigkeit erhöhten. Er wollte schon schnell genug sein, bevor er die Wasseroberfläche ganz durchbrach, und die ersten beiden Bewegungen seines lan g gestreckten Körpers brachten ihn bereits schneller vorwärts als vor der Wende.
Er hatte kaum seine neue Richtung ganz eingenommen, als er einen Feuerstoß von Klickgeräuschen zum anderen Ende des Beckens schickte. Sie waren nicht wirklich no t wendig; er kannte das Becken inzwischen schon so gut, daß er über seine Position in Beziehung zu den Wänden genau Bescheid wußte. Den Feuerstoß aber schickte er ab, um die Echos ihres Körpers zu spüren, die soviel schöner und ru n der waren, soviel komplexer als die starre Geometrie des Beckens.
Er schlug gerade zum zweiten Mal mit dem Schwanz, als die ersten Echos ihn an der Kinnlade kitzelten. Ihre Sam t haut warf ein Echo zurück, das so faltig glatt war wie Al u miniumfolie, auf die Licht fällt; es überlagerte das enge Fischgrätenmuster des Beckenraums mit einer köstlichen Zweideutigkeit und vermischte sich damit. Zwischen den Klicktönen hatte er einen Ton in einer höheren Frequenz ausgeschickt, der in verschiedenen Gefühlsschichten zu ihm zurückkam.
Die rauh/glatten, weich/harten Gegensätze der menschl i chen Wahrnehmung wurden durch die Gefühle für Struktur und Dichte, Größe und Gestalt ersetzt, die hundertmal g e nauer und sinnlicher waren. Aus einer Entfernung von fün f zig Metern berührte Klickpfiff Langpfiff intimer und vol l ständiger, als das ein menschlicher Liebhaber jemals ve r mocht hätte.
Ein Mensch war lediglich in der Lage, zu einem gegeb e nen Zeitpunkt eine bestimmte Oberfläche zu sehen oder zu fühlen, aber Klickpfiff konnte durch sie hindurch hören und sie von allen Seiten zugleich wahrnehmen. Die Echos, die durch sie hindurchgingen, prallten auf ihrem Weg zurück noch einmal von ihr ab, und Klickpfiff erkannte ihr Rüc k grat so deutlich wie auf einem Röntgenbild. Ihr Fleisch hörte sich wie ein Heiligenschein an, der das deutliche Echo der brustförmigen Luftsäcke in ihrer Stirn umgab. Das Gefühl, das ihm durch die Wahrnehmung von ihr vermittelt wurde, blieb noch bei ihm wie der rote Fleck, der von einem hellen Licht bleibt, wenn die Augen geschlossen werden.
Als er noch zwanzig Meter von ihr entfernt war, spürte er, wie seine zweite Mischung von Frequenzen von ihr zurüc k geworfen wurde, als sie sich in Vorfreude wand. Selbst am anderen Ende des Beckens konnte er sie schmecken, aber als er näher an sie herankam, verbreiteten sich ihre Körpera b sonderungen im Wasser wie dickes Parfüm.
Sein Sinn für Geschmack war fast so fein ausgebildet wie sein Gehör, und Geschmack und Geräusche verwoben sich zu einem Teppich von Strukturen und Gefühlen, den kein Mensch auch nur entfernt wahrnehmen konnte. Das ineina n der
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