Klingenfieber: Roman (German Edition)
aus. In ihm war nichts von einem Triumph. Also hatten sie entweder die Spur der Teufelin vergeblich verfolgt, oder sie hatten sich wirklich einfach nur Zeit gelassen. Hatten keine Lust gehabt, im Regen bei Nacht rauszureiten ins unwichtige Kuntelt. Aber eine Lappalie war das keinesfalls, fünf Tote in einem einzelnen Dorf. Die Drutauer Garnison war für einen Umkreis von wenigstens zehn Dörfern zuständig. Auch für Bosel und Kattgraum. Noch hatte niemand ihnen überhaupt gemeldet, dass es in Bosel und Kattgraum ebenfalls zwei Tote namens Kaskir und Furko gegeben hatte.
Sollte er es ihnen melden?
Er war eigentlich dazu verpflichtet, denn er war der Einzige, der das jetzt tun konnte.
Aber er unterließ es. Sie würden ihn sonst vielleicht noch mitnehmen als Zeugen. Er aber wollte Erenis wiederfinden. Und da war es ihm ganz recht, wenn die Büttel sich erst mal zeitraubend in Kuntelt umhörten.
Erst als sie vorbei waren und nur noch als kleine Flecken im Braun des Weges auszumachen, fiel ihm auf, was er soeben getan hatte. Er hatte sich gegen die Büttel gewandt. Durch eine Unterlassung zwar nur, aber nichtsdestotrotz. Und er hatte sich dadurch auf Erenis’ Seite geschlagen. Genau, wie man es ihm in Bosel vorgeworfen hatte. Dass er mit ihr unter einer Decke steckte.
Aber war sie das nicht auch wert? War sie nicht das Faszinierendste, das ihm jemals begegnet war? Besser noch als Fabelwesen oder Grünmänner im Wald? Weil sie schön war. Und ein Weib, das ganz allein umherzog und das Ende bedeutete für Prahlhanse und Herumschubser.
Er sah sie vor sich, immer wieder. Im Fluss, so verlockend. Wie sie sich vor dem Kampf das Hemd unter dem Busen hochgebunden hatte. Ihr Hintern, beim Weggehen. Er wusste nicht, ob er mehr Lust oder mehr Angst empfand. Aber die Mischung reizte ihn, so viel war ihm klar.
Die Spuren jedenfalls waren jetzt vernichtet. Der Bütteltrupp hatte alles zerritten.
Aber das machte nichts. Er konnte jetzt davon ausgehen, dass sie nicht nach Drutau geritten oder gegangen war. Sie war den Bütteln nicht begegnet, und keinesfalls war sie gefangen genommen oder getötet worden. Der Kuntelter Bote hätte dann einen ganz anderen Gesichtsausdruck gehabt. Erenis war nach Lugg abgebogen. Und deshalb folgte Stenrei dem Wegweiser nach Lugg, sobald er ihn sah.
In Lugg hatte man sie gesehen. Aber sie hatte nicht gekämpft. Sie hatte sich lediglich ein Zimmer genommen und übernachtet. Eine schwertbewaffnete Fremde zu Fuß. Am Morgen war sie Richtung Wreden weitermarschiert. Männer erinnerten sich in Lugg eher mit Wohlgefallen und anzüglich gespitzten Lippen an sie als mit Entsetzen und Trauer wie in Bosel, Kattgraum oder Kuntelt.
Stenrei wunderte sich. Sie übernachtete also doch in den Dörfern. Kämpfte und tötete nicht in jedem. Nach welchen Maßstäben wählte sie aus? Möglicherweise hatte sie in Kuntelt so viel Blut vergossen, dass sie in Lugg einfach nur müde gewesen war und schlafen wollte. Dann hatte Lugg also Glück gehabt, dass Kuntelt sich geopfert hatte.
Jedenfalls war er auf der richtigen Fährte. Aber die Büttel auf ihren Pferden würden ihn bald eingeholt haben, auch sie würden Lugg nicht auslassen und dort dieselben Auskünfte erhalten wie er.
Es sei denn … es sei denn, er drückte ein paar Leuten eine Münze in die Hand, damit sie die Büttel von Lugg aus in eine falsche Richtung wiesen.
Aber das konnte er nicht machen. Das wäre eine noch deutlichere Gesetzesübertretung als die Unterlassung. Das wäre schon Vertuschung oder Beihilfe, oder wie immer man das nannte. Und wenn die Büttel dann, in die Irre geschickt, nach Lugg zurückkehrten und die Lügner in die Mangel nahmen, konnten diese ihn, Stenrei, beschreiben und angeben, in welche Richtung er gegangen war, nämlich nach Wreden. Er hätte dann wirklichen Ärger am Hals. So jedoch wanderte er bislang dem Ärger nur hinterher und wurde sein unbeteiligter Zeuge.
Er unternahm nichts, um die Büttel zu täuschen, und folgte der Klingentänzerin durch ausgedörrtes, vom Regen lediglich platt gedrücktes Heideland nach Wreden. Dort sah er sie wieder. Früher eigentlich, als er gedacht hatte.
Sie war aufgehalten worden.
Denn der Gegner, den man in Wreden für sie auserkoren hatte, war ein Ungeheuer von einem Mann. Er war der größte Kerl, den Stenrei jemals gesehen hatte. Und er war schnell. Er konnte ausweichen ebenso wie zuschlagen, und Erenis musste auf der Hut sein, um nicht von einem Hieb seiner Holzfälleraxt in zwei
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