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Klingenfieber: Roman (German Edition)

Klingenfieber: Roman (German Edition)

Titel: Klingenfieber: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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war oder Grimmigkeit, konnte Stenrei nicht erkennen. »Sie rühren sich nicht«, flüsterte sie. »Sie fallen einfach nicht drauf rein.«
    Stenrei krakeelte weiter, hackte mit dem Schwert auf den Boden, rumste hier und dort gegen die Wände, sodass die angekerbten Stützpfeiler beinahe barsten. Dann kam ihm eine weitere Idee. Er brüllte aus Leibeskräften: »Ich habe sie! Ich halte sie umklammert! Warum hilft mir denn niemand? Ich habe sie! Aber ich kann sie nicht lange halten! Ich brauche Hilfe!«
    »Jetzt kommen sie!«, zischte Erenis. Es waren vier. Nicht die Büttel, sondern die Inspizienten. Der langhaarige Rittrichter scheuchte sie vor sich her. Aufgefächert näherten sie sich im Laufschritt der Vordertür.
    Stenrei schrie weiterhin, ahmte die Geräusche großer körperlicher Anstrengung nach. Gleichzeitig dirigierte er Erenis in den hinteren Bereich der Hütte zurück, denn sie wollten vorne alles zum Einsturz bringen.
    Jemand trat von draußen die Vordertür auf. Zwei Inspizienten schauten herein, konnten aber kaum etwas erkennen, da es draußen deutlich heller war als drinnen.
    »Hier bin ich!« schrie Stenrei. Zwei, dann drei Männer traten ins Innere, ihre Waffen, Schwerter oder Armbruste, erhoben. Stenrei legte alle Kraft in den Schlag, der seinen Stützpfeiler durchtrennte. Erenis dagegen trat einfach gegen ihren, der an der eingekerbten Stelle knallend barst.
    Das Dach riss verrutschend in zwei Hälften, und die vordere dieser Hälften kam herunter. Staub, Dreck, Holz, Stroh, Mörtel und Verputz – alles polterte lose in Bahnen zusammenhängend durcheinander. Es sah von drinnen aus, als würde der Himmel in der Mitte aufklaffen, strahlend hell, und dann von einer sich aufbäumenden Staubwolke angegriffen werden.
    Eigentlich hatten sie abgesprochen, durch das hintere Fenster zu schlüpfen, um zu entkommen.
    Erenis jedoch sah eine Lücke nach vorne. Wo der Schutt herunterkam auf die überrascht schreienden Männer, krängte auch die hölzerne Vorderwand vom Gewicht des Daches mitgezerrt nach drinnen. Erenis schlug mit dem Schwert die Strohdachmasse durch, sprang mitten hinein in diese Kaskade aus Lärm und Schmutz – und tauchte fort. Stenrei zögerte noch, wusste nicht mehr, ob nach vorne oder nach hinten, dann wühlte sich bereits die Staubwolke in seine Nasenlöcher und er folgte der Frau, der er ohnehin folgen wollte.
    Jenseits des Schuttrutsches sah er etwas Furchtbares, etwas, das er sein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen sollte.
    Dort torkelte ein Mann, ein Inspizient. Blut schwallte aus seinem Hals. Und irgendetwas stimmte dort nicht. Die Halswirbel waren durchtrennt oder schwer beschädigt. Jedenfalls konnte der Hals das Gewicht des Kopfes nicht mehr halten, und während der Mann mit leeren Händen in die Luft griff – grässliche, krallende Bewegungen –, kippte ihm sein Kopf vom Hals und wurde nur noch von Fleisch, Haut, Sehnen und Röhren am Runterfallen gehindert. Alles riss. Stenrei sah, wie das fallende Gesicht seinen Ausdruck veränderte. Als würde es schreien wollen und sich nicht mehr daran erinnern können, wie man schreit.
    Stenrei blieb stehen. Seine Beine gehorchten nicht mehr.
    Dann schrie er. Er schrie anstelle des Sterbenden.
    Irgendeine Form von Zeit verging. Er sah den Langhaarigen an sich vorbeirennen, den Umhang wehen.
    Dann hämmerte sich das Klirren in sein Gehör hinein. Erenis’ Schwert gegen das des Büttels bei den Pferden. So weit war sie schon voraus.
    Kling-kling-kling-klang. Klang-kling.
    Der Büttel stürzte blutverkleidet. Der langhaarige Rittrichter war an ihr dran, ganz Umhang, der Staubwolke ähnelnd.
    Stenrei riss sich zusammen. Er wollte kotzen oder flennen, aber beides ging gerade nicht, denn Erenis wurde vor seinen Augen von hinten angefallen wie von einem Tier aus Staub.
    Stenrei sah die schaulustigen Greise in Sicherheit wackeln.
    Seltsamerweise sah er auch die Blumen in den Beeten und wie ungerührt schön sie waren.
    Er hatte sein Schwert noch immer in der Hand. Er schwang es und schrie. Dieser Schrei klang genauso wie der des Entsetzens von eben.
    Doch das Staubtier fiel von alleine. Der Rittrichter. Eine hohe Ordnungsmacht. Fiel. Von Erenis niedergemacht. Nein, nicht niedergemacht. Fiel nicht richtig. Sank eher. Sank an ihrem Arm zu Boden. Das sah genauso eigenartig aus wie die Blumen. Aber es war nicht ihr Arm. Es war ihre Klinge. Der Rittrichter rutschte an ihrer Klinge herab wie ein Blutstropfen. Lag dort. Sie stand über ihm, das

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