Klingsors letzter Sommer
Verwesung,
voll Gott und Tod.«
Mitten durch seine leisen Worte und durch
die aufgewühlte trunkne Stunde klang tief
und klar Ersilias Stimme, still sang sie das
Lied vom bei mazzo di fiori vor sich hin,
Friede strömte von ihrem Liede aus, Kling-
sor hörte es wie von einer fernen schwim-
menden Insel über Meere von Zeit und
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Einsamkeit herüber. Er drehte seine leere
Weintasse um, er schenkte nicht mehr ein.
Er hörte zu. Ein Kind sang. Eine Mutter
sang. War man nun ein verirrter und ver-
ruchter Kerl, im Schlamm der Welt geba-
det, ein Strolch und Luder, oder war man
ein kleines dummes Kind?
»Ersilia«, sagte er mit Ehrerbietung, »du
bist unser guter Stern.«
Durch steilen finstern Wald bergan, an
Zweig und Wurzel geklammert, quoll man
hinweg, den Heimweg suchend. Lichter
Waldrand ward erreicht, Feld geentert,
schmaler Weg im Maisfeld atmete Nacht
und Heimkehr, Mondblick im spiegelnden
Blatt des Maises, Rebenreihen schräg ent-
fliehend. Nun sang Klingsor, leise, mit der
etwas heiseren Stimme, sang leise und viel,
deutsch und malaiisch, mit Worten und
ohne Worte. Im leisen Gesang strömte er
gestaute Fülle aus, wie eine braune Mauer
am Abend gesammeltes Tageslicht aus-
strahlt.
Hier nahm einer der Freunde Abschied,
und dort einer, schwand im Rebenschatten
auf kleinem Pfad dahin. Jeder ging, jeder
war für sich, suchte Heimkehr, war allein
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unterm Himmel. Eine Frau küßte Klingsor
zur guten Nacht, brennend sog ihr Mund
an seinem. Weg rollten sie, weg schmolzen
sie, alle. Als Klingsor allein die Treppe zu
seiner Wohnung erstieg, sang er noch im-
mer. Er besang und lobte Gott und sich
selbst, er pries Li Tai Pe und pries den
guten Wein von Pampambio. Wie ein
Götze ruhte er auf Wolken der Bejahung.
»Inwendig«, sang er, »bin ich wie eine Ku-
gel von Gold, wie die Kuppel eines Do-
mes, man kniet darin, man betet, Gold
strahlt von der Wand, auf altem Bilde blu-
tet der Heiland, blutet das Herz der Maria.
Wir bluten auch, wir anderen, wir Irrge-
gangenen, wir Sterne und Kometen, sieben
und vierzehn Schwerter gehn durch unsre
selige Brust. Ich liebe dich, blonde und
schwarze Frau, ich liebe alle, auch die Phi-
lister; ihr seid arme Teufel wie ich, ihr seid
arme Kinder und fehlgeratene Halbgötter
wie der betrunkne Klingsor. Sei mir ge-
grüßt, geliebtes Leben! Sei mir gegrüßt,
geliebter Tod!«
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Klingsor an Edith
Lieber Stern am Sommerhimmel!
Wie hast Du mir gut und wahr ge-
schrieben, und wie ruft Deine Liebe mir
schmerzlich zu, wie ewiges Leid, wie ewi-
ger Vorwurf. Aber Du bist auf gutem
Wege, wenn Du mir, wenn Du Dir selbst
jede Empfindung des Herzens eingestehst.
Nur nenne keine Empfindung klein, keine
Empfindung unwürdig! Gut, sehr gut ist
jede, auch der Haß, auch der Neid, auch die
Eifersucht, auch die Grausamkeit. Von
nichts andrem leben wir als von unsern
armen, schönen, herrlichen Gefühlen, und
jedes, dem wir unrecht tun, ist ein Stern,
den wir auslöschen.
Ob ich Gina liebe, weiß ich nicht. Ich
zweifle sehr daran. Ich würde kein Opfer
für sie bringen. Ich weiß nicht, ob ich über-
haupt lieben kann. Ich kann begehren, und
kann mich in andern Menschen suchen,
nach Echo aushorchen, nach einem Spiegel
verlangen, kann Lust suchen, und alles das
kann wie Liebe aussehen.
Wir beide, Du und ich, im selben Irrgarten,
im Garten unserer Gefühle, die in dieser
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üblen Welt zu kurz gekommen sind, und
wir nehmen dafür, jeder nach seiner Art,
Rache an dieser bösen Welt. Wir wollen
aber einer des andern Träume bestehen las-
sen, weil wir wissen, wie rot und süß der
Wein der Träume schmeckt.
Klarheit über ihre Gefühle und über die
»Tragweite« und Folgen ihrer Handlungen
haben nur die guten, gesicherten Men-
schen, die an das Leben glauben und kei-
nen Schritt tun, den sie nicht auch morgen
und übermorgen werden billigen können.
Ich habe nicht das Glück, zu ihnen zu zäh-
len, und ich fühle und handle so, wie einer,
der nicht an morgen glaubt und jeden Tag
für den letzten ansieht.
Liebe schlanke Frau, ich versuche ohne
Glück meine Gedanken auszudrücken.
Ausgedrückte Gedanken sind immer so
tot! Lassen wir sie leben! Ich fühle tief und
dankbar, wie Du mich verstehst, wie etwas
in Dir mir verwandt ist. Wie das im Buch
des Lebens zu buchen sei, ob unsre Gefühle
Liebe, Wollust, Dankbarkeit, Mitleid, ob
sie mütterlich oder kindlich sind, das weiß
ich nicht. Oft sehe ich
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