Klingsors letzter Sommer
mit, den ar-
menischen Sterndeuter.
Klingsor, mit dem Bilde fertig, atmete tief
auf, als er die beiden Gesichter bei sich sah,
das blonde gute Haar Thu Fus, den
schwarzen Bart und den mit weißen Zäh-
nen lächelnden Mund des Magiers. Und da
kam mit ihnen auch der Schatten, der
lange, dunkle, mit den weit zurückgeflohe-
nen Augen in den tiefen Höhlen. Willkom-
men auch du, Schatten, lieber Kerl!
«Weißt du, was für ein Tag heut ist?« fragte
Klingsor seinen Freund.
»Der letzte Juli, ich weiß.«
»Ich stellte heut ein Horoskop«, sagte der
Armenier, »und da sah ich, daß dieser
Abend mir etwas bringen wird. Saturn
steht unheimlich, Mars neutral, Jupiter do-
miniert. Li Tai Pe, sind Sie nicht ein Juli-
kind?«
»Ich bin am zweiten Juli geboren.«
»Ich dachte es. Ihre Sterne stehen verwirrt,
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Freund, nur Sie selbst können sie deuten.
Fruchtbarkeit umgibt Sie wie eine Wolke,
die nahe am Bersten ist. Seltsam stehen Ihre
Sterne, Klingsor, Sie müssen es fühlen.«
Li packte sein Gerät zusammen. Erloschen
war die Welt, die er gemalt hatte, erloschen
der gelb und grüne Himmel, ertrunken die
blaue helle Fahne, ermordet und verwelkt
das schöne Gelb. Er war hungrig und dur-
stig, die Kehle hing ihm voll Staub.
»Freunde«, sagte er herzlich, »wir wollen
diesen Abend beisammen bleiben. Wir
werden nicht mehr zusammen sein, wir alle
vier, ich lese das nicht aus den Sternen, es
steht mir im Herzen geschrieben. Mein Ju-
limond ist vorüber, dunkel glühn seine
letzten Stunden, in der Tiefe ruft die große
Mutter. Nie war die Welt so schön, nie war
ein Bild von mir so schön, Wetterleuchten
zuckt, Musik des Untergangs ist ange-
stimmt. Wir wollen sie mitsingen, die süße
bange Musik, wir wollen hier beisammen
bleiben und Wein trinken und Brot essen.«
Neben dem Karussell, dessen Zelt eben
abgedeckt und für den Abend gerüstet
wurde, standen einige Tische unter Bäu-
men, eine hinkende Magd ging ab und zu,
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ein kleines Wirtshaus lag im Schatten. Hier
blieben sie und saßen am Brettertisch, Brot
wurde gebracht und Wein in die irdenen
Schalen geschenkt, unter den Bäumen
glommen Lichter auf, drüben begann die
Orgel des Karussells zu erdröhnen, heftig
warf sie ihre bröckelnde gelle Musik in den
Abend.
»Dreihundert Becher will ich heute leeren«,
rief Li Tai Pe und stieß mit dem Schatten
an. »Sei gegrüßt, Schatten, standhafter
Zinnsoldat! Seid gegrüßt, Freunde! Seid
gegrüßt, elektrische Lichter, Bogenlampen
und funkelnde Pailletten am Karussell! Oh,
daß Louis da wäre, der flüchtige Vogel!
Vielleicht ist er uns schon vorausgeflogen
in den Himmel! Vielleicht auch kommt er
morgen wieder, der alte Schakal, und fin-
det uns nicht mehr und lacht und pflanzt
Bogenlampen und Fahnenstangen auf un-
ser Grab.«
Still ging der Magier und holte neuen
Wein, froh lächelten seine weißen Zähne
aus dem roten Mund.
»Schwermut«, sagte er mit einem Blick zu
Klingsor hinüber, »ist eine Sache, die man
nicht mit sich tragen sollte. Es ist so leicht
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– es ist das Werk einer Stunde, einer kur-
zen, intensiven Stunde mit zusammenge-
bissenen Zähnen, dann ist man mit der
Schwermut für immer fertig.«
Klingsor sah aufmerksam auf seinen
Mund, auf die hellen klaren Zähne, welche
einst in einer glühenden Stunde die
Schwermut erwürgt und totgebissen hat-
ten. War auch ihm möglich, was dem
Sterndeuter möglich gewesen war? Oh,
kurzer süßer Blick in ferne Gärten: Leben
ohne Angst, Leben ohne Schwermut! Er
wußte, diese Gärten waren ihm unerreich-
bar. Er wußte, ihm war andres bestimmt,
anders blickte zu ihm Saturn herüber, an-
dre Lieder wollte Gott auf seinen Saiten
spielen.
»Jeder hat seine Sterne«, sagte Klingsor
langsam, »jeder hat seinen Glauben. Ich
glaube nur an eines: an den Untergang. Wir
fahren in einem Wagen überm Abgrund,
und die Pferde sind scheu geworden. Wir
stehen im Untergang, wir alle, wir müssen
sterben, wir müssen wieder geboren wer-
den, die große Wende ist für uns gekom-
men. Es ist überall das gleiche: der große
Krieg, die große Wandlung in der Kunst,
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der große Zusammenbruch der Staaten des
Westens. Bei uns im alten Europa ist alles
das gestorben, was bei uns gut und unser
eigen war; unsre schöne Vernunft ist Irr-
sinn geworden, unser Geld ist Papier, uns-
re Maschinen können bloß noch schießen
und explodieren, unsre Kunst ist Selbst-
mord. Wir gehen unter,
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