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Klingsors letzter Sommer

Klingsors letzter Sommer

Titel: Klingsors letzter Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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mit, den ar-
    menischen Sterndeuter.
    Klingsor, mit dem Bilde fertig, atmete tief
    auf, als er die beiden Gesichter bei sich sah,
    das blonde gute Haar Thu Fus, den
    schwarzen Bart und den mit weißen Zäh-
    nen lächelnden Mund des Magiers. Und da
    kam mit ihnen auch der Schatten, der
    lange, dunkle, mit den weit zurückgeflohe-
    nen Augen in den tiefen Höhlen. Willkom-
    men auch du, Schatten, lieber Kerl!
    «Weißt du, was für ein Tag heut ist?« fragte
    Klingsor seinen Freund.
    »Der letzte Juli, ich weiß.«
    »Ich stellte heut ein Horoskop«, sagte der
    Armenier, »und da sah ich, daß dieser
    Abend mir etwas bringen wird. Saturn
    steht unheimlich, Mars neutral, Jupiter do-
    miniert. Li Tai Pe, sind Sie nicht ein Juli-
    kind?«
    »Ich bin am zweiten Juli geboren.«
    »Ich dachte es. Ihre Sterne stehen verwirrt,
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    Freund, nur Sie selbst können sie deuten.
    Fruchtbarkeit umgibt Sie wie eine Wolke,
    die nahe am Bersten ist. Seltsam stehen Ihre
    Sterne, Klingsor, Sie müssen es fühlen.«
    Li packte sein Gerät zusammen. Erloschen
    war die Welt, die er gemalt hatte, erloschen
    der gelb und grüne Himmel, ertrunken die
    blaue helle Fahne, ermordet und verwelkt
    das schöne Gelb. Er war hungrig und dur-
    stig, die Kehle hing ihm voll Staub.
    »Freunde«, sagte er herzlich, »wir wollen
    diesen Abend beisammen bleiben. Wir
    werden nicht mehr zusammen sein, wir alle
    vier, ich lese das nicht aus den Sternen, es
    steht mir im Herzen geschrieben. Mein Ju-
    limond ist vorüber, dunkel glühn seine
    letzten Stunden, in der Tiefe ruft die große
    Mutter. Nie war die Welt so schön, nie war
    ein Bild von mir so schön, Wetterleuchten
    zuckt, Musik des Untergangs ist ange-
    stimmt. Wir wollen sie mitsingen, die süße
    bange Musik, wir wollen hier beisammen
    bleiben und Wein trinken und Brot essen.«
    Neben dem Karussell, dessen Zelt eben
    abgedeckt und für den Abend gerüstet
    wurde, standen einige Tische unter Bäu-
    men, eine hinkende Magd ging ab und zu,
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    ein kleines Wirtshaus lag im Schatten. Hier
    blieben sie und saßen am Brettertisch, Brot
    wurde gebracht und Wein in die irdenen
    Schalen geschenkt, unter den Bäumen
    glommen Lichter auf, drüben begann die
    Orgel des Karussells zu erdröhnen, heftig
    warf sie ihre bröckelnde gelle Musik in den
    Abend.
    »Dreihundert Becher will ich heute leeren«,
    rief Li Tai Pe und stieß mit dem Schatten
    an. »Sei gegrüßt, Schatten, standhafter
    Zinnsoldat! Seid gegrüßt, Freunde! Seid
    gegrüßt, elektrische Lichter, Bogenlampen
    und funkelnde Pailletten am Karussell! Oh,
    daß Louis da wäre, der flüchtige Vogel!
    Vielleicht ist er uns schon vorausgeflogen
    in den Himmel! Vielleicht auch kommt er
    morgen wieder, der alte Schakal, und fin-
    det uns nicht mehr und lacht und pflanzt
    Bogenlampen und Fahnenstangen auf un-
    ser Grab.«
    Still ging der Magier und holte neuen
    Wein, froh lächelten seine weißen Zähne
    aus dem roten Mund.
    »Schwermut«, sagte er mit einem Blick zu
    Klingsor hinüber, »ist eine Sache, die man
    nicht mit sich tragen sollte. Es ist so leicht
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    – es ist das Werk einer Stunde, einer kur-
    zen, intensiven Stunde mit zusammenge-
    bissenen Zähnen, dann ist man mit der
    Schwermut für immer fertig.«
    Klingsor sah aufmerksam auf seinen
    Mund, auf die hellen klaren Zähne, welche
    einst in einer glühenden Stunde die
    Schwermut erwürgt und totgebissen hat-
    ten. War auch ihm möglich, was dem
    Sterndeuter möglich gewesen war? Oh,
    kurzer süßer Blick in ferne Gärten: Leben
    ohne Angst, Leben ohne Schwermut! Er
    wußte, diese Gärten waren ihm unerreich-
    bar. Er wußte, ihm war andres bestimmt,
    anders blickte zu ihm Saturn herüber, an-
    dre Lieder wollte Gott auf seinen Saiten
    spielen.
    »Jeder hat seine Sterne«, sagte Klingsor
    langsam, »jeder hat seinen Glauben. Ich
    glaube nur an eines: an den Untergang. Wir
    fahren in einem Wagen überm Abgrund,
    und die Pferde sind scheu geworden. Wir
    stehen im Untergang, wir alle, wir müssen
    sterben, wir müssen wieder geboren wer-
    den, die große Wende ist für uns gekom-
    men. Es ist überall das gleiche: der große
    Krieg, die große Wandlung in der Kunst,
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    der große Zusammenbruch der Staaten des
    Westens. Bei uns im alten Europa ist alles
    das gestorben, was bei uns gut und unser
    eigen war; unsre schöne Vernunft ist Irr-
    sinn geworden, unser Geld ist Papier, uns-
    re Maschinen können bloß noch schießen
    und explodieren, unsre Kunst ist Selbst-
    mord. Wir gehen unter,

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