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Klingsors letzter Sommer

Klingsors letzter Sommer

Titel: Klingsors letzter Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Freunde, so ist es
    uns bestimmt, die Tonart Tsing Tse ist
    angestimmt.«
    Der Armenier schenkte Wein ein.
    »Wie Sie wollen«, sagte er. »Man kann ja
    sagen, und man kann nein sagen, das ist nur
    Kinderspiel. Untergang ist etwas, das nicht
    existiert. Damit Untergang oder Aufgang
    wäre, müßte es unten und oben geben.
    Unten und oben aber gibt es nicht, das lebt
    nur im Gehirn des Menschen, in der Hei-
    mat der Täuschungen. Alle Gegensätze
    sind Täuschungen: weiß und schwarz ist
    Täuschung, Tod und Leben ist Täu-
    schung, gut und böse ist Täuschung. Es ist
    das Werk einer Stunde, einer glühenden
    Stunde mit zusammengebissenen Zähnen,
    dann hat man das Reich der Täuschungen
    überwunden.«
    Klingsor hörte seiner guten Stimme zu.
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    »Ich spreche von uns«, gab er Antwort,
    »ich spreche von Europa, von unsrem alten
    Europa, das zweitausend Jahre lang das
    Gehirn der Welt zu sein glaubte. Dies geht
    unter. Meinst du, Magier, ich kenne dich
    nicht? Du bist ein Bote aus dem Osten, ein
    Bote auch an mich, vielleicht ein Spion,
    vielleicht ein verkleideter Feldherr. Du bist
    hier, weil hier das Ende beginnt, weil du
    hier Untergang witterst. Aber wir gehen
    gerne unter, du, wir sterben gerne, wir
    wehren uns nicht.«
    »Du kannst auch sagen: gerne werden wir
    geboren«, lachte der Asiate. »Dir scheint es
    Untergang, mir scheint es vielleicht Ge-
    burt. Beides ist Täuschung. Der Mensch,
    der an die Erde glaubt als an die festste-
    hende Scheibe unterm Himmel, der sieht
    und glaubt Aufgang und Untergang – und
    alle, fast alle Menschen glauben an die feste
    Scheibe! Die Sterne selbst wissen kein Auf
    und Unter.«
    »Sind nicht Sterne untergegangen?« rief
    Thu Fu.
    »Für uns, für unsre Augen.«
    Er schenkte die Tassen voll, immer machte
    er den Schenken, immer war er dienstfertig
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    und lächelte dazu. Er ging mit dem leeren
    Kruge weg, neuen Wein zu holen. Schmet-
    ternd schrie die Karussellmusik.
    »Gehen wir hinüber, es ist so schön«, bat
    Thu Fu, und sie gingen hin, standen an der
    bemalten Barriere, sahen im stechenden
    Glanz der Pailletten und Spiegel das Karus-
    sell im Kreise wüten, hundert Kinder mit
    den Augen gierig am Glanze hängen. Ei-
    nen Augenblick fühlte Klingsor tief und
    lachend das Urtümliche und Negerhafte
    dieser kreiselnden Maschine, dieser mecha-
    nischen Musik, dieser grellen wilden Bilder
    und Farben, Spiegel und irrsinnigen
    Schmucksäulen, alles trug Züge von Medi-
    zinmann und Schamane, von Zauber und
    uralter Rattenfangerei, und der ganze wilde
    wüste Glanz war im Grunde nichts andres
    als der zuckende Glanz des Blechlöffels,
    den der Hecht für ein Fischlein hält und an
    dem man ihn herauszieht.
    Alle Kinder mußten Karussell fahren. Al-
    len Kindern gab Thu Fu Geld, alle Kinder
    lud der Schatten ein. In Knäueln umgaben
    sie die Schenkenden, hingen sich an, fleh-
    ten, dankten. Ein schönes blondes Mäd-
    chen, zwölfjährig, dem gaben sie alle, sie
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    fuhr jede Runde. Im Lichterglanz wehte
    hold der kurze Rock um ihre schönen Kna-
    benbeine. Ein Knabe weinte. Knaben
    schlugen sich. Peitschend knallten zur Or-
    gel die Tschinellen, gossen Feuer in den
    Takt, Opium in den Wein. Lange standen
    die vier im Getümmel.
    Wieder saßen sie dann unterm Baume, in
    die Tassen goß der Armenier den Wein,
    schürte Untergang, lächelte hell.
    »Dreihundert Becher wollen wir heute lee-
    ren«, sang Klingsor; sein verbrannter Schä-
    del glühte gelb, laut schallte sein Gelächter
    hin; Schwermut kniete, ein Riese, auf sei-
    nem zuckenden Herzen. Er stieß an, er
    pries den Untergang, das Sterbenwollen,
    die Tonart Tsing Tse. Brausend erscholl
    die Karussellmusik. Aber innen im Herzen
    saß Angst, das Herz wollte nicht sterben,
    das Herz haßte den Tod.
    Plötzlich klirrte eine zweite Musik wütend
    in die Nacht, schrill, hitzig, aus dem Hause
    her. Im Erdgeschoß, neben dem Kamin,
    dessen Gesimse voll schön geordneter
    Weinflaschen stand, knallte ein Maschinen-
    klavier los, Maschinengewehr, wild, schel-
    tend, überstürzt. Leid schrie aus verstimm-
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    ten Tönen, Rhythmus bog mit schwerer
    Dampfwalze stöhnende Dissonanzen nie-
    der. Volk war da, Licht, Lärm, Burschen
    tanzten und Mädchen, auch die hinkende
    Magd, auch Thu Fu. Er tanzte mit dem
    blonden kleinen Mädchen, Klingsor sah
    zu, leicht und hold wehte ihr kurzes Som-
    merkleid um die dünnen schönen Beine,
    freundlich lächelte Thu Fus Gesicht, voll
    Liebe. An der Kaminecke saßen die an-
    dern, vom

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