Klingsors letzter Sommer
brennende Flamme,
Bildnis der Jugend. Vor Klingsors Auge
stoben hundert geliebte Bilder hinweg,
und das neue sprang strahlend auf. Er
wußte sofort, daß er sie malen würde, nicht
nach der Natur, sondern den Strahl in ihr,
den er empfangen hatte, das Gedicht, den
holden herben Klang: Jugend, Rot, Blond,
Amazone. Er würde sie ansehen, eine
Stunde lang, vielleicht mehrere Stunden
lang. Er würde sie gehen sehen, sitzen se-
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hen, lachen sehen, vielleicht tanzen sehen,
vielleicht singen hören. Der Tag war ge-
krönt, der Tag hatte seinen Sinn gefunden.
Was weiter dazu kommen mochte, war Ge-
schenk, war Überfluß. Immer war es so:
das Erlebnis kam nie allein, immer flogen
ihm Vögel voraus, immer gingen ihm Bo-
ten und Vorzeichen voran, der mütterlich
asiatische Tierblick unter jener Tür, die
schwarze Dorfschöne im Fenster, dies und
das.
Eine Sekunde lang empfand er aufzuckend:
»Wäre ich zehn Jahre jünger, zehn kurze
Jahre, so könnte diese mich haben, mich
fangen, mich um den Finger wickeln! Nein,
du bist zu jung, du kleine rote Königin, du
bist zu jung für den alten Zauberer Kling-
sor! Er wird dich bewundern, er wird dich
auswendig lernen, er wird dich malen, er
wird das Lied deiner Jugend für immer
aufzeichnen; aber er wird keine Wallfahrt
um dich tun, keine Leiter nach dir steigen,
keinen Mord um dich begehen und kein
Ständchen vor deinem hübschen Balkon
bringen. Nein, leider wird er dies alles
nicht tun, der alte Maler Klingsor, das alte
Schaf. Er wird dich nicht lieben, er wird
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nicht den Blick nach dir werfen, den er
nach der Asiatin, den er nach der Schwar-
zen im Fenster warf, die vielleicht keinen
Tag jünger ist als du. Für sie ist er nicht zu
alt, nur für dich, Königin der Gebirge, rote
Blume am Berg. Für dich, Steinnelke, ist er
zu alt. Für dich genügt die Liebe nicht, die
Klingsor zwischen einem Tag voll Arbeit
und einem Abend voll Rotwein zu ver-
schenken hat. Desto besser wird mein
Auge dich trinken, schlanke Rakete, und
von dir wissen, wenn du mir lang erloschen
bist.«
Durch Räume mit Steinböden und offenen
Bogen kam man in einen Saal, wo barocke
wilde Stuckfiguren über hohen Türen em-
porflackerten und rundum auf dunklem
Fries gemalte Delphine, weiße Rosse und
rosenrote Amoretten durch ein dicht be-
völkertes Sagenmeer schwammen. Ein
paar Stühle und am Boden die Teile des
zerlegten Flügels, sonst war nichts in dem
großen Raum, aber zwei verlockende Tü-
ren führten auf die zwei kleinen Balkone
über dem strahlenden Opernplatz hinaus,
und gegenüber über Eck brüsteten sich die
Balkone des Nachbarpalastes, auch sie mit
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Bildern bemalt, dort schwamm ein roter
feister Kardinal wie ein Goldfisch in der
Sonne.
Man ging nicht wieder fort. Im Saale wur-
den Vorräte ausgepackt und ein Tisch ge-
deckt, Wein kam, seltener Weißwein aus
dem Norden, Schlüssel für Heere von Er-
innerungen. Der Klavierstimmer hatte die
Flucht ergriffen, der zerstückte Flügel
schwieg. Nachdenklich starrte Klingsor in
das entblößte Saitengedärme, dann tat er
leise den Deckel zu. Seine Augen schmerz-
ten, aber in seinem Herzen sang der Som-
mertag, sang die sarazenische Mutter, sang
blau und schwellend der Traum von Ka-
reno. Er aß und stieß mit seinem Glase an
Gläser, er sprach hell und froh, und hinter
all dem arbeitete der Apparat in seiner
Werkstatt, sein Blick war um die Stein-
nelke, um die Feuerblume ringsum wie das
Wasser um den Fisch, ein fleißiger Chro-
nist saß in seinem Gehirn und schrieb For-
men, Rhythmen, Bewegungen genau wie
in ehernen Zahlensäulen auf.
Gespräch und Gelächter füllten den leeren
Saal. Klug und gütig lachte der Doktor,
tief und freundlich Ersilia, stark und unter-
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irdisch Agosto, vogelleicht die Malerin,
klug sprach der Dichter, spaßhaft sprach
Klingsor, beobachtend und ein wenig
scheu ging die rote Königin unter ihren
Gästen, Delphinen und Rossen umher, war
hier und dort, stand am Flügel, kauerte auf
einem Kissen, schnitt Brot, schenkte Wein
mit unerfahrener Mädchenhand. Freude
scholl im kühlen Saal, Augen glänzten
schwarz und blau, vor den lichten hohen
Balkontüren lag starr der blendende Mittag
auf Wache.
Hell floß der edle Wein in die Gläser, hol-
der Gegensatz zum einfachen kalten Mahl.
Hell floß der rote Schein vom Kleid der
Königin durch den hohen Saal, hell und
wachsam folgten ihm die Blicke aller Män-
ner. Sie
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