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Klingsors letzter Sommer

Klingsors letzter Sommer

Titel: Klingsors letzter Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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jede Frau an wie ein
    alter gewiegter Wüstling und oft wie ein
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    kleiner Knabe. Oft hat die keuscheste Frau
    für mich die größte Verlockung, oft die
    üppigste. Alles ist schön, alles ist heilig,
    alles ist unendlich gut, was ich lieben darf.
    Warum, wie lange, in welchem Grad, das
    ist nicht zu messen.
    Ich liebe nicht Dich allein, das weißt Du,
    ich liebe auch nicht Gina allein, ich werde
    morgen und übermorgen andre Bilder lie-
    ben, andere Bilder malen. Bereuen aber
    werde ich keine Liebe, die ich je gefühlt,
    und keine Weisheit oder Dummheit, die
    ich ihretwegen begangen. Dich liebe ich
    vielleicht, weil Du mir ähnlich bist. Andre
    liebe ich, weil sie so anders sind als ich.
    Es ist spät in der Nacht, der Mond steht
    überm Salute. Wie lacht das Leben, wie
    lacht der Tod!
    Wirf den dummen Brief ins Feuer, und wirf
    ins Feuer
    Deinen Klingsor
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    Die Musik des Untergangs
    Der letzte Tag des Juli war gekommen,
    Klingsors Lieblingsmonat, die hohe
    Festzeit Li Tai Pes, war verblüht, kam nim-
    mer wieder, Sonnenblumen schrien im
    Garten golden ins Blau empor. Zusammen
    mit dem treuen Thu Fu pilgerte Klingsor
    an diesem Tage durch eine Gegend, die er
    liebte: verbrannte Vorstädte, staubige Stra-
    ßen unter hoher Allee, rot und orange be-
    malte Hütten am sandigen Ufer, Lastwa-
    gen und Ladeplätze der Schiffe, lange vio-
    lette Mauern, farbiges armes Volk. Am
    Abend dieses Tages saß er am Rand einer
    Vorstadt im Staube und malte die farbigen
    Zelte und Wagen eines Karussells, am Stra-
    ßenbord auf kahlem, versengtem Anger
    saß er hingekauert, angesogen von den
    starken Farben der Zelte. Tief biß er sich
    fest im verschossenen Lila einer Zeltborte,
    im freudigen Grün und Rot der schwerfal-
    ligen Wohnwagen, in den blau-weiß ge-
    strichnen Gerüststangen. Grimmig wühlte
    er im Kadmium, wild im süßkühlen Ko-
    balt, zog die verfließenden Striche Krapp-
    lack durch den gelb und grünen Himmel.
    78

    Noch eine Stunde, oh, weniger, dann war
    Schluß, die Nacht kam, und morgen be-
    gann schon der August, der brennende Fie-
    bermonat, der so viel Todesfurcht und
    Bangnis in seine glühenden Becher mischt.
    Die Sense war geschärft, die Tage neigten
    sich, der Tod lachte versteckt im bräunen-
    den Laub. Klinge hell und schmettre, Kad-
    mium! Prahle laut, üppiger Krapplack! La-
    che grell, Zitronengelb! Her mit dir, tief-
    blauer Berg der Ferne! An mein Herz ihr,
    staubgrüne matte Bäume! Wie seid ihr
    müd, wie laßt ihr ergebene fromme Äste
    sinken! Ich trinke euch, holde Erscheinun-
    gen! Ich täusche euch Dauer und Unsterb-
    lichkeit vor, ich, der Vergänglichste, der
    Ungläubigste, der Traurigste, der mehr als
    ihr alle an der Angst vor dem Tode leidet.
    Juli ist verbrannt, August wird schnell ver-
    brannt sein, plötzlich fröstelt uns aus gel-
    bem Laub am betauten Morgen das große
    Gespenst entgegen. Plötzlich fegt Novem-
    ber über den Wald. Plötzlich lacht das
    große Gespenst, plötzlich friert uns das
    Herz, plötzlich fällt uns das liebe rosige
    Fleisch von den Knochen, in der Wüste
    heult der Schakal, heiser singt sein ver-
    8
    fluchtes Lied der Aasgeier. Ein verfluchtes
    Blatt der Großstadt bringt mein Bild, und
    darunter steht: »Vortrefflicher Maler, Ex-
    pressionist, großer Kolorist, starb am sech-
    zehnten dieses Monats.«
    Voll Haß riß er eine Furche Pariserblau
    unter den grünen Zigeunerwagen. Voll Er-
    bitterung schlug er die Kante Chromgelb
    auf die Prellsteine. Voll tiefer Verzweif-
    lung setzte er Zinnober in einen ausgespar-
    ten Fleck, vertilgte das fordernde Weiß,
    kämpfte blutend um Fortdauer, schrie hell-
    grün und neapelgelb zum unerbittlichen
    Gott. Stöhnend warf er mehr Blau in das
    fade Staubgrün, flehend zündete er inni-
    gere Lichter im Abendhimmel an. Die
    kleine Palette voll reiner, unvermischter
    Farben von hellster Leuchtkraft, sie war
    sein Trost, sein Turm, sein Arsenal, sein
    Gebetbuch, seine Kanone, aus der er nach
    dem bößen Tode schoß. Purpur war Leug-
    nung des Todes, Zinnober war Verhöhnen
    der Verwesung. Gut war sein Arsenal,
    glänzend stand seine kleine tapfere Truppe,
    strahlend läuteten die raschen Schüsse sei-
    ner Kanonen auf. Es half ja nichts, alles
    Schießen war ja vergebens, aber Schießen
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    war doch gut, war Glück und Trost, war
    noch Leben, war noch Triumphieren.
    Thu Fu war gegangen, einen Freund zu
    besuchen, der dort zwischen Fabrik und
    Ladeplatz seine Zauberburg bewohnte.
    Nun kam er und brachte ihn

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