Klingsors letzter Sommer
jede Frau an wie ein
alter gewiegter Wüstling und oft wie ein
76
kleiner Knabe. Oft hat die keuscheste Frau
für mich die größte Verlockung, oft die
üppigste. Alles ist schön, alles ist heilig,
alles ist unendlich gut, was ich lieben darf.
Warum, wie lange, in welchem Grad, das
ist nicht zu messen.
Ich liebe nicht Dich allein, das weißt Du,
ich liebe auch nicht Gina allein, ich werde
morgen und übermorgen andre Bilder lie-
ben, andere Bilder malen. Bereuen aber
werde ich keine Liebe, die ich je gefühlt,
und keine Weisheit oder Dummheit, die
ich ihretwegen begangen. Dich liebe ich
vielleicht, weil Du mir ähnlich bist. Andre
liebe ich, weil sie so anders sind als ich.
Es ist spät in der Nacht, der Mond steht
überm Salute. Wie lacht das Leben, wie
lacht der Tod!
Wirf den dummen Brief ins Feuer, und wirf
ins Feuer
Deinen Klingsor
77
Die Musik des Untergangs
Der letzte Tag des Juli war gekommen,
Klingsors Lieblingsmonat, die hohe
Festzeit Li Tai Pes, war verblüht, kam nim-
mer wieder, Sonnenblumen schrien im
Garten golden ins Blau empor. Zusammen
mit dem treuen Thu Fu pilgerte Klingsor
an diesem Tage durch eine Gegend, die er
liebte: verbrannte Vorstädte, staubige Stra-
ßen unter hoher Allee, rot und orange be-
malte Hütten am sandigen Ufer, Lastwa-
gen und Ladeplätze der Schiffe, lange vio-
lette Mauern, farbiges armes Volk. Am
Abend dieses Tages saß er am Rand einer
Vorstadt im Staube und malte die farbigen
Zelte und Wagen eines Karussells, am Stra-
ßenbord auf kahlem, versengtem Anger
saß er hingekauert, angesogen von den
starken Farben der Zelte. Tief biß er sich
fest im verschossenen Lila einer Zeltborte,
im freudigen Grün und Rot der schwerfal-
ligen Wohnwagen, in den blau-weiß ge-
strichnen Gerüststangen. Grimmig wühlte
er im Kadmium, wild im süßkühlen Ko-
balt, zog die verfließenden Striche Krapp-
lack durch den gelb und grünen Himmel.
78
Noch eine Stunde, oh, weniger, dann war
Schluß, die Nacht kam, und morgen be-
gann schon der August, der brennende Fie-
bermonat, der so viel Todesfurcht und
Bangnis in seine glühenden Becher mischt.
Die Sense war geschärft, die Tage neigten
sich, der Tod lachte versteckt im bräunen-
den Laub. Klinge hell und schmettre, Kad-
mium! Prahle laut, üppiger Krapplack! La-
che grell, Zitronengelb! Her mit dir, tief-
blauer Berg der Ferne! An mein Herz ihr,
staubgrüne matte Bäume! Wie seid ihr
müd, wie laßt ihr ergebene fromme Äste
sinken! Ich trinke euch, holde Erscheinun-
gen! Ich täusche euch Dauer und Unsterb-
lichkeit vor, ich, der Vergänglichste, der
Ungläubigste, der Traurigste, der mehr als
ihr alle an der Angst vor dem Tode leidet.
Juli ist verbrannt, August wird schnell ver-
brannt sein, plötzlich fröstelt uns aus gel-
bem Laub am betauten Morgen das große
Gespenst entgegen. Plötzlich fegt Novem-
ber über den Wald. Plötzlich lacht das
große Gespenst, plötzlich friert uns das
Herz, plötzlich fällt uns das liebe rosige
Fleisch von den Knochen, in der Wüste
heult der Schakal, heiser singt sein ver-
8
fluchtes Lied der Aasgeier. Ein verfluchtes
Blatt der Großstadt bringt mein Bild, und
darunter steht: »Vortrefflicher Maler, Ex-
pressionist, großer Kolorist, starb am sech-
zehnten dieses Monats.«
Voll Haß riß er eine Furche Pariserblau
unter den grünen Zigeunerwagen. Voll Er-
bitterung schlug er die Kante Chromgelb
auf die Prellsteine. Voll tiefer Verzweif-
lung setzte er Zinnober in einen ausgespar-
ten Fleck, vertilgte das fordernde Weiß,
kämpfte blutend um Fortdauer, schrie hell-
grün und neapelgelb zum unerbittlichen
Gott. Stöhnend warf er mehr Blau in das
fade Staubgrün, flehend zündete er inni-
gere Lichter im Abendhimmel an. Die
kleine Palette voll reiner, unvermischter
Farben von hellster Leuchtkraft, sie war
sein Trost, sein Turm, sein Arsenal, sein
Gebetbuch, seine Kanone, aus der er nach
dem bößen Tode schoß. Purpur war Leug-
nung des Todes, Zinnober war Verhöhnen
der Verwesung. Gut war sein Arsenal,
glänzend stand seine kleine tapfere Truppe,
strahlend läuteten die raschen Schüsse sei-
ner Kanonen auf. Es half ja nichts, alles
Schießen war ja vergebens, aber Schießen
82
war doch gut, war Glück und Trost, war
noch Leben, war noch Triumphieren.
Thu Fu war gegangen, einen Freund zu
besuchen, der dort zwischen Fabrik und
Ladeplatz seine Zauberburg bewohnte.
Nun kam er und brachte ihn
Weitere Kostenlose Bücher