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Klingsors letzter Sommer

Klingsors letzter Sommer

Titel: Klingsors letzter Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Garten hereingekommen, nah
    bei der Musik, mitten im Lärm. Klingsor
    sah Töne, hörte Farben. Der Magier nahm
    Flaschen vom Kamin, öffnete, schenkte
    ein. Hell stand sein Lächeln auf dem brau-
    nen klugen Gesicht. Furchtbar donnerte
    die Musik im niederen Saal. In die Reihe
    der alten Flaschen überm Kamin brach der
    Armenier langsam eine Bresche, wie ein
    Tempelräuber Kelch um Kelch die Geräte
    eines Altars wegnimmt.
    »Du bist ein großer Künstler«, flüsterte der
    Sterndeuter Klingsor zu, indem er seine
    Tasse füllte. »Du bist einer der größten
    Künstler dieser Zeit. Du hast das Recht,
    dich Li Tai Pe zu nennen. Aber du bist, Li
    Tai, du bist ein gehetzter, armer, ein gepei-
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    nigter und angstvoller Mensch. Du hast die
    Musik des Untergangs angestimmt, du sit-
    zest singend in deinem brennenden Haus,
    das du selber angezündet hast, und es ist dir
    nicht wohl dabei, Li Tai Pe, auch wenn du
    jeden Tag dreihundert Becher leerst und
    mit dem Monde anstößt. Es ist dir nicht
    wohl dabei, es ist dir sehr weh dabei, Sän-
    ger des Untergangs, willst du nicht inne-
    halten? Willst du nicht leben? Willst du
    nicht fortdauern?«
    Klingsor trank und flüsterte mit seiner et-
    was heisern Stimme zurück: »Kann man
    denn Schicksal wenden? Gibt es denn Frei-
    heit des Wollens? Kannst denn du, Stern-
    deuter, meine Sterne anders lenken?«
    »Nicht lenken, nur deuten kann ich sie.
    Lenken kannst nur du dich selbst. Es gibt
    Freiheit des Wollens. Sie heißt Magie.«
    »Warum soll ich Magie treiben, wenn ich
    Kunst treiben kann? Ist Kunst nicht ebenso
    gut?«
    »Alles ist gut. Nichts ist gut. Magie hebt
    Täuschungen auf. Magie hebt jene
    schlimmste Täuschung auf, die wir ›Zeit‹
    heißen.«
    »Tut das Kunst nicht auch?«
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    »Sie versucht es. Ist dein gemalter Juli, den
    du in deinen Mappen hast, dir genug? Hast
    du Zeit aufgehoben? Bist du ohne Angst
    vor dem Herbst, vor dem Winter?«
    Klingsor seufzte und schwieg, schweigend
    trank er, schweigend füllte der Magier
    seine Tasse. Irrsinnig tobte die entfesselte
    Klaviermaschine, zwischen den Tanzen-
    den schwebte engelhaft Thu Fus Gesicht.
    Der Juli war zu Ende.
    Klingsor spielte mit den leeren Flaschen
    auf dem Tische, ordnete sie im Kreise.
    »Dies sind unsre Kanonen«, rief er, »mit
    diesen Kanonen schießen wir die Zeit ka-
    putt, den Tod kaputt, das Elend kaputt.
    Auch mit Farben habe ich auf den Tod
    geschossen, mit dem feurigen Grün, mit
    dem knallenden Zinnober, mit dem süßen
    Geraniumlack. Oft habe ich ihn auf den
    Schädel getroffen, Weiß und Blau habe ich
    ihm ins Auge gejagt. Oft habe ich ihn in die
    Flucht geschlagen. Noch oft werde ich ihn
    treffen, ihn besiegen, ihn überlisten. Seht
    den Armenier, wieder öffnet er eine alte
    Flasche, und die eingeschlossene Sonne
    vergangener Sommer schießt uns ins Blut.
    Auch der Armenier hilft uns, auf den Tod
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    zu schießen, auch der Armenier weiß keine
    andere Waffe gegen den Tod.«
    Der Magier brach Brot und aß.
    »Gegen den Tod brauche ich keine Waffe,
    weil es keinen Tod gibt. Es gibt aber eines:
    Angst vor dem Tode. Die kann man heilen,
    gegen die gibt es eine Waffe. Es ist die
    Sache einer Stunde, die Angst zu überwin-
    den. Aber Li Tai Pe will nicht. Li liebt ja
    den Tod, er liebt ja seine Angst vor dem
    Tode, seine Schwermut, sein Elend, nur
    die Angst hat ihn ja all das gelehrt, was er
    kann und wofür wir ihn lieben.«
    Spöttisch stieß er an, seine Zähne blitzten,
    immer heiterer ward sein Gesicht, Leid
    schien ihm fremd. Niemand gab Antwort.
    Klingsor schoß mit der Weinkanone gegen
    den Tod. Groß stand der Tod vor den
    offenen Türen des Saales, der von Men-
    schen, Wein und Tanzmusik geschwollen
    war. Groß stand der Tod vor den Türen,
    leise rüttelte er am schwarzen Akazien-
    baum, finster stand er im Garten auf der
    Lauer. Alles war draußen voll Tod, voll
    von Tod, nur hier im engen schallenden
    Saal ward noch gekämpft, ward noch herr-
    lich und tapfer gekämpft gegen den
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    schwarzen Belagerer, der nah durch die
    Fenster greinte.
    Spöttisch blickte der Magier über den
    Tisch, spöttisch schenkte er die Schalen
    voll. Viele Schalen schon hatte Klingsor
    zerbrochen, neue hatte er ihm ge-
    geben. Viel hatte auch der Armenier
    getrunken, aber aufrecht saß er wie Kling-
    sor.
    »Laß uns trinken, Li«, höhnte er leise. »Du
    liebst ja den Tod, gerne willst du ja unter-
    gehen, gerne den Tod sterben. Sagtest du
    nicht so, oder habe ich mich getäuscht –
    oder

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