Klingsors letzter Sommer
hast du mich und dich selber am Ende
getäuscht? Laß uns trinken, Li, laß uns
untergehen!«
Zorn quoll in Klingsor empor. Auf stand
er, stand aufrecht und hoch, der alte Sper-
ber mit dem scharfen Kopf, spie in den
Wein, zerschmiß seine volle Tasse am Bo-
den. Weithin spritzte der rote Wein in den
Saale, die Freunde wurden bleich, fremde
Menschen lachten.
Aber schweigend und lächelnd holte der
Magier eine neue Tasse, schenkte sie lä-
chelnd voll, bot sie lächelnd Li Tai an. Da
lächelte Li, da lächelte auch er. Über sein
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verzerrtes Gesicht lief das Lächeln wie
Mondlicht.
»Kinder«, rief er, »laßt diesen Fremdling
reden! Er weiß viel, der alte Fuchs, er
kommt aus einem versteckten und tiefen
Bau. Er weiß viel, aber er versteht uns
nicht. Er ist zu alt, um Kinder zu verste-
hen. Er ist zu weise, um Narren zu verste-
hen. Wir, wir Sterbenden, wissen mehr
vom Tode als er. Wir sind Menschen, nicht
Sterne. Seht da meine Hand, die eine kleine
blaue Schale voll Wein hält! Sie kann viel,
diese Hand, diese braune Hand. Sie hat mit
vielen Pinseln gemalt, sie hat neue Stücke
der Welt aus dem Finstern gerissen und vor
die Augen der Menschen gestellt. Diese
braune Hand hat viele Frauen unterm Kinn
gestreichelt, und hat viele Mädchen ver-
führt, viel ist sie geküßt worden, Tränen
sind auf sie gefallen, ein Gedicht hat Thu
Fu auf sie gedichtet. Diese liebe Hand,
Freunde, wird bald voll Erde und voll Ma-
den sein, keiner von euch würde sie mehr
anrühren. Wohl, eben darum liebe ich sie.
Ich liebe meine Hand, ich liebe meine Au-
gen, ich liebe meinen weißen, zärtlichen
Bauch, ich liebe sie mit Bedauern und mit
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Spott und mit großer Zärtlichkeit, weil sie
alle so bald verwelken und verfaulen müs-
sen. Schatten, du dunkler Freund, alter
Zinnsoldat auf dem Grabe Andersens,
auch dir ergeht es so, lieber Kerl! Stoß mit
mir an, unsre lieben Glieder und Einge-
weide sollen leben!«
Sie stießen an, dunkel lächelte der Schatten
aus seinen tiefen Höhlenaugen – und plötz-
lich ging etwas durch den Saal, wie ein
Wind, wie ein Geist. Verstummt war un-
versehens die Musik, plötzlich, wie erlo-
schen, weggeflossen waren die Tänzer, von
der Nacht verschlungen, und die Hälfte der
Lichter waren verlöscht. Klingsor blickte
nach den schwarzen Türen. Draußen stand
der Tod. Er sah ihn stehen. Er roch ihn.
Wie Regentropfen in Landstraßenlaub, so
roch der Tod.
Da rückte Li die Schale von sich weg, stieß
den Stuhl von sich und ging langsam aus
dem Saal, in den dunklen Garten hinaus
und fort, im Finstern, Wetterleuchten
überm Haupt, allein. Schwer lag ihm das
Herz in der Brust, wie der Stein auf einem
Grab.
Abend im August
Im sinkenden Abend kam Klingsor – er
hatte den Nachmittag in Sonne und
Wind bei Manuzzo und Veglia gemalt –
sehr müde im Wald über Veglia zu einem
kleinen, schlafenden Canvetto. Es gelang
ihm, eine greise Wirtsfrau herbeizurufen,
sie brachte ihm eine irdene Tasse voll
Wein, er setzte sich auf einen Nußbaum-
stumpf vor der Tür und packte den Ruck-
sack aus, fand noch ein Stück Käse und
einige Pflaumen darin, und hielt sein
Nachtmahl. Die alte Frau saß dabei, weiß,
gebückt und zahnlos, und erzählte mit fal-
tig arbeitendem Halse und stillgewordenen
alten Augen vom Leben ihres Weilers und
ihrer Familie, vom Krieg und der Teu-
erung und vom Stand der Felder, von
Wein und Milch und was sie kosten, von
gestorbenen Enkeln und ausgewanderten
Söhnen; alle Lebenszeiten und Sternbilder
dieses kleinen Bauernlebens lagen klar und
freundlich ausgebreitet, rauh in dürftiger
Schönheit, voll Freude und Sorge, voll
Angst und Leben. Klingsor aß, trank,
ruhte, hörte zu, fragte nach Kindern und
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Vieh, Pfarrer und Bischof, lobte freundlich
den ärmlichen Wein, bot eine letzte
Pflaume an, gab die Hand, wünschte eine
glückliche Nacht und stieg, am Stock und
mit dem Sack beschwert, langsam in den
lichten Wald bergaufwärts, dem Nachtla-
ger entgegen.
Es war die spätgoldene Stunde, noch
glühte Licht des Tages überall, doch ge-
wann der Mond schon Schimmer, und er-
ste Fledermäuse schwammen in der grünen
Flimmerluft. Ein Waldrand stand sanft im
letzten Licht, helle Kastanienstämme vor
schwarzen Schatten, eine gelbe Hütte
strahlte leise das eingesogene Tageslicht
von sich, sanftglühend wie ein gelber To-
pas, rosenrot und violett führten die klei-
nen Wege durch Wiesen, Reben
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