Klingsors letzter Sommer
bist! Was für ein Glück ich
habe, grade jetzt, wo ich so allein und trau-
rig war!«
»Traurig? Macht mir nichts vor, Herr, Ihr
seid ein Spaßmacher, kein Wort darf man
Euch glauben. Na, ich muß aber weiter.«
»Oh, dann begleite ich dich.«
»Es ist nicht Euer Weg und ist auch nicht
nötig. Was soll mir passieren?«
»Dir nichts, aber mir. Wie leicht könnte
einer kommen und dir gefallen und ginge
mit dir und küßte deinen lieben Mund und
deinen Hals und deine schöne Brust, ein
andrer statt meiner. Nein, das darf nicht
sein.«
Er hatte die Hand um ihren Nacken gelegt
und ließ sie nicht mehr los.
»Stern, mein kleiner! Schatz! Meine kleine
süße Pflaume! Beiß mich, sonst esse ich
dich.«
Er küßte sie, die sich lachend zurückbog,
auf den offnen, starken Mund, zwischen
Sträuben und Widerreden gab sie nach,
küßte wieder, schüttelte den Kopf, lachte,
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suchte sich freizumachen. Er hielt sie an
sich gezogen, seinen Mund auf ihrem, seine
Hand auf ihrer Brust, ihr Haar roch wie
Sommer, nach Heu, Ginster, Farnkraut,
Brombeeren. Einen Augenblick tief Atem
schöpfend, bog er den Kopf zurück, da sah
er am verglühten Himmel klein und weiß
den ersten Stern aufgegangen. Die Frau
schwieg, ihr Gesicht war ernst geworden,
sie seufzte, sie legte ihre Hand auf seine und
drückte sie fester um ihre Brust. Er bückte
sich sanft, drückte ihr den Arm in die Knie-
kehlen, die nicht widerstrebten, und bet-
tete sie ins Gras.
»Hast du mich lieb?« fragte sie wie ein
kleines Mädchen. »Povera me!«
Sie tranken den Becher, Wind strich über
ihr Haar und nahm ihren Atem mit.
Ehe sie Abschied nahmen, suchte er im
Rucksack, in seinen Rocktaschen, ob er ihr
nichts zu schenken habe, fand eine kleine
silberne Taschendose, noch halb voll von
Zigarettentabak, die leerte er aus und gab
sie ihr.
»Nein, kein Geschenk, gewiß nicht!« versi-
cherte er. »Nur ein Andenken, daß du mich
nicht vergißt.«
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»Ich vergesse dich nicht«, sagte sie. Und:
»Kommst du wieder?«
Er wurde traurig. Langsam küßte er sie auf
beide Augen.
»Ich komme wieder», sagte er.
Noch eine Weile hörte er, regungslos ste-
hend, ihre Schritte auf den Holzsohlen
bergabwärts klingen, über den Wiesen-
grund, durch den Wald, auf Erde, auf Fels,
auf Laub, auf Wurzeln. Nun war sie fort.
Schwarz stand der Wald in der Nacht, lau
strich der Wind über die erloschene Erde.
Irgend etwas, vielleicht ein Pilz, vielleicht
ein welkes Farnkraut, roch scharf und bit-
ter nach Herbst.
Klingsor konnte sich nicht zur Heimkehr
entschließen. Wozu jetzt den Berg hinauf-
steigen, wozu in seine Zimmer zu all den
Bildern gehen? Er streckte sich ins Gras
und lag und sah die Sterne an, schlief end-
lich ein und schlief, bis spät in der Nacht
ein Tierschrei oder ein Windstoß oder die
Kühle des Taus ihn erweckte. Dann stieg
er nach Castagnetta hinauf, fand sein Haus,
seine Tür, seine Zimmer. Briefe lagen da
und Blumen, es war Freundesbesuch dage-
wesen.
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So müde er war, er packte doch, nach der
alten zähen Gewöhnung, in aller Nacht
noch seine Sachen aus und sah beim Lam-
penlicht die Skizzenblätter des Tages an.
Das Waldinnere war schön, Gekraut und
Gestein im lichtdurchzuckten Schatten
glänzte kühl und köstlich wie eine Schatz-
kammer. Es war richtig gewesen, daß er
nur mit Chromgelb, Orange und Blau ge-
arbeitet und das Zinnobergrün weggelas-
sen hatte. Lange sah er das Blatt an.
Aber wozu? Wozu alle die Blätter voll
Farbe? Wozu all die Mühe, all der Schweiß,
all die kurze, trunkene Schaffenslust? Gab
es Erlösung? Gab es Ruhe? Gab es Frie-
den?
Erschöpft sank er, kaum entkleidet, ins
Bett, löschte das Licht, suchte nach Schlaf
und summte leise die Verse Thu Fus vor
sich hin:
»Bald klirrt der Wind
Über mein braunes Grab.«
Klingsor schreibt an Louis den Grausamen
Caro Luigi! Lange hat man Deine Stim-
me nicht mehr gehört. Lebst Du noch
am Lichte? Nagt schon der Geier Dein
Gebein?
Hast Du einmal mit einer Stricknadel in
einer stehengebliebenen Wanduhr gesto-
chert? Ich tat es einmal, und habe es erlebt,
daß plötzlich der Teufel in das Werk fuhr
und die ganze vorhandene Zeit abrasselte,
die Zeiger machten Wettrennen ums Zif-
ferblatt, mit einem unheimlichen Geräusch
drehten sie sich wahnsinnig fort, prestis-
simo, bis ebenso plötzlich alles ab-
schnappte und die Uhr den Geist aufgab.
Genau so ist es zur Zeit hier bei uns:
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