Klingsors letzter Sommer
und hell-
violett. Schöner als alles waren die Men-
schen, wie Blumen standen sie im Licht
unterm Grün, wie ein riesiger Skarabäus
leuchtete der smaragdne Sonnenschirm,
Ersilias schwarzes Haar darunter, die
weiße schlanke Malerin, mit rosigem Ge-
sicht, und alle andern. Klingsor trank sie
mit durstigen Augen, seine Gedanken aber
waren bei Gina. Erst in einer Woche
konnte er sie wieder sehen, sie saß in einem
Büro in der Stadt und schrieb auf der Ma-
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schine, selten nur glückte es, daß er sie sah,
und nie allein. Und sie liebte er, gerade sie,
die nichts von ihm wußte, die ihn nicht
kannte, nicht verstand, für die er nur ein
seltner seltsamer Vogel, ein fremder be-
rühmter Maler war. Wie seltsam war das,
daß gerade an ihr sein Verlangen hängen-
blieb, daß kein anderer Liebesbecher ihm
genügte. Er war es nicht gewohnt, lange
Wege um eine Frau zu gehen. Um Gina
ging er sie, um eine Stunde neben ihr zu
sein, ihre schlanken kleinen Finger zu hal-
ten, seinen Schuh unter ihren zu schieben,
einen schnellen Kuß auf ihren Nacken zu
drücken. Er sann darüber nach, sich selbst
ein drolliges Rätsel. War dies schon die
Wende? Schon das Alter? War es nur das,
nur der Johannistrieb des Vierzigjährigen
zur Zwanzigjährigen?
Der Bergrücken war erreicht, und jenseits
brach eine neue Welt dem Blick entgegen:
hoch und unwirklich der Monte Gennaro,
aufgebaut aus lauter steilen spitzen Pyra-
miden und Kegeln, die Sonne schräg da-
hinter, jedes Plateau emailglänzend auf tief
violetten Schatten schwimmend. Zwischen
dort und hier die flimmernde Luft, und
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unendlich tief verloren der schmale blaue
Seearm, kühl hinter grünen Waldflammen
ruhend.
Ein winziges Dorf auf dem Berggrat: ein
Herrschaftsgut mit kleinem Wohnhaus,
vier, fünf andere Häuser, steinern, blau und
rosig bemalt, eine Kapelle, ein Brunnen,
Kirschbäume. Die Gesellschaft hielt in der
Sonne am Brunnen, Klingsor ging weiter,
durch einen Torbogen in ein schattiges Ge-
höft, drei bläuliche Häuser standen hoch,
mit wenig kleinen Fenstern, Gras und Ge-
röll dazwischen, eine Ziege, Brennesseln.
Ein Kind lief vor ihm fort, er lockte es, zog
Schokolade aus der Tasche. Es hielt, er fing
es ein, streichelte und fütterte es, es war
scheu und schön, ein kleines schwarzes
Mädchen, erschrockene schwarze Tierau-
gen, schlanke nackte Beine braun und glän-
zend. »Wo wohnt ihr?« fragte er, sie lief zur
nächsten Tür, die in dem Häusergeklüft
sich öffnete. Aus einem finstern Steinraum
wie aus Höhlen der Urzeit trat ein Weib,
die Mutter, auch sie nahm Schokolade. Aus
schmutzigen Kleidern stieg der braune
Hals, ein festes breites Gesicht, sonnver-
brannt und schön, breiter voller Mund,
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großes Auge, roher süßer Liebreiz, Ge-
schlecht und Mutterschaft sprach breit und
still aus großen asiatischen Zügen. Er
neigte sich verführend zu ihr, sie wich lä-
chelnd aus, schob das Kind zwischen sich
und ihn. Er ging weiter, zu einer Wieder-
kehr entschlossen. Diese Frau wollte er
malen, oder ihr Geliebter sein, sei es nur
eine Stunde lang. Sie war alles: Mutter,
Kind, Geliebte, Tier, Madonna.
Langsam kehrte er zur Gesellschaft zurück,
das Herz voll von Träumen. Auf der
Mauer des Gutes, dessen Wohnhaus leer
und geschlossen schien, waren alte rauhe
Kanonenkugeln befestigt, eine launische
Treppe führte durch Gebüsch zu einem
Hain und Hügel, zuoberst ein Denkmal,
da stand barock und einsam eine Büste,
Kostüm Wallenstein, Locken, gewellter
Spitzbart. Spuk und Phantastik umglühte
den Berg im gleißenden Mittagslicht,
Wunderliches lag auf der Lauer, auf eine
andere, ferne Tonart war die Welt ge-
stimmt. Klingsor trank am Brunnen, ein
Segelfalter flog her und sog an den ver-
spritzten Tropfen auf dem kalksteinernen
Brunnenrand.
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Dem Grat nach führte die Bergstraße wei-
ter, unter Kastanien, unter Nußbäumen,
sonnig, schattig. An einer Biegung eine
Wegkapelle, alt und gelb, in der Nische
verblichene alte Bilder, ein Heiligenkopf
engelsüß und kindlich, ein Stück Gewand
rot und braun, der Rest verbröckelt. Kling-
sor liebte alte Bilder sehr, wenn sie ihm
ungesucht entgegenkamen, er liebte solche
Fresken, er liebte die Wiederkehr dieser
schönen Werke zum Staub und zur Erde.
Wieder Bäume, Reben, heiße Straße blen-
dend, wieder eine Biegung: da war das
Ziel, plötzlich, unverhofft: ein dunkler
Torgang, eine große hohe Kirche aus ro-
tem
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