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Klippen

Klippen

Titel: Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Adam
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Unterhose schaute ein Hoden heraus. Er schenkte mir großzügig Wodka oder Whisky ein, und ich trank, ohne mit der Wimper zu zucken. Während er in die Glotze starrte, geriet er beim Anblick einer gut aussehenden Sängerin oder Schauspielerin regelmäßig aus dem Häuschen und träumte lautstark davon, es ihr zu besorgen. Wir tranken, ohne viel zu reden, ich glaube, er empfand meine Gegenwart als tröstlich. Häufig kam er auch zu mir und holte mich in sein Zimmer, in dem zwei Mädchen auf uns warteten. Sie trugen Pelzmäntel, waren stets blond, überschminkt und mit schwerem Goldschmuck behängt, sprachen kaum Französisch und landeten unweigerlich auf unserem Schoß, um uns das Hemd aufzuknöpfen. Dann knieten sie, die Blusen über den schweren Brüsten geöffnet, vor uns nieder und bliesen uns einen. Er blieb danach meistens sitzen, zog die junge Frau zu sich hoch, schlang die Arme um sie und legte in einer zärtlichen Geste, die plötzlich nichts mehr mit Sex zu tun hatte, mit geschlossenen Augen seine Wange an ihre, als schmuse er mit einem Kind oder lasse sich von seiner Mutter wiegen. Ich dagegen verdrückte mich mit meiner Partnerin und zog mich mit ihr aus Scham in mein Zimmer zurück, wo ich sie in dem um diese Uhrzeit gleißenden Sonnenlicht vögelte.
    Im Lauf der Monate ließen sich die Mädchen immer seltener bei ihm blicken, und als ich ihm in letzter Zeit begegnete und er mich zu sich einlud, schleppte er sich müde in sein Zimmer und ließ sich aufs Sofa fallen. Er zündete sich eine Zigarre an, trank einen kräftigen Schluck Wodka aus der Flasche und war bald darauf eingeschlafen, während ich auf den Fernseher starrte, wo nun ununterbrochen aus Osteuropa importierte Fellatios, Cunnilingi und Doppelpenetrationen aufeinander folgten. Ich weiß noch, dass ein Bild das andere jagte und sie auf mich nicht mehr Eindruck machten als ein Tierfilm. Das letzte Mal sah ich ihn an Léas Todestag. Das Restaurant, in dem er gearbeitet hatte, hatte ihn gerade gefeuert. Man hatte ihm mitgeteilt, sein Erscheinungsbild lasse zu wünschen übrig, und einige Kunden hätten sich über ihn, sein Äußeres und seinen penetranten Geruch nach Alkohol, Schweiß und Tabak beschwert.
     
     
     
     
     
     
    Léa wohnte rechts von mir. Sie war die Tochter des Hausbesitzers und zog an einem Sonntag im November ein, auf den Tag genau zwei Jahre nach meinem eigenen Einzug. Jeden zweiten Abend aß sie drei Etagen tiefer, langweilte sich zusammen mit ihren Eltern und sah sich mit ihnen im Zweiten einen Film von Claude Sautet oder Yves Boisset an. Als ich sie das erste Mal sah, trug sie Kartons die Treppe hoch, sie schleppte sie vom dritten in den sechsten Stock. Ihr langes schwarzes Haar umrahmte ihr Gesicht mit den Murmelaugen, zwischen denen eine schmale, spitze Nase saß. Ich bot ihr meine Hilfe an, und zuerst sah sie mich misstrauisch an. »Ich wohne da oben«, sagte ich zu ihr. Das schien sie auch nicht zu beruhigen. Also packte ich einfach einen mit Büchern vollgestopften Karton, und für uns beide begann ein mehrmaliges Auf und Ab. Als der letzte Karton abgestellt war, setzten wir uns in ihrem Zimmer auf den Boden, über uns die nackte Glühbirne, die von der frisch gestrichenen Decke hing, Léa holte einen siebenarmigen Kerzenleuchter hervor, zündete ebenso viele Kerzen an und schaltete das Licht aus. Ihr Blick flackerte im Schein der Flammen, und wir tranken zusammen eine Flasche Portwein. Ich sah mich um, und mein Blick blieb an einem Schwarzweißfoto auf der Kommode und in den Regalen hängen, es zeigte das Gesicht einer jungen Frau, die ihr auf verstörende Weise ähnelte.
    »Wer ist das?«
    »Meine Großmutter. Sie starb in Auschwitz.«
    Gegen zwanzig Uhr verließ ich ihr Zimmer, betrunken und vom durchdringenden Blick ihrer Großmutter verfolgt, dieser schmallippigen jungen Frau mit dem zurückgekämmten Haar, die aus allen vier Zimmerecken über mich zu richten, mich zu taxieren und freizusprechen schien. Wie oft habe ich geträumt, dass diese unwirkliche, alabasterhafte Frau mir über die Wange und das Haar strich und mir zulächelte, bevor sie verschwand oder für einen Augenblick die Züge meiner eigenen Mutter annahm. Manchmal begann ihr Gesicht aber auch zu zerfließen, und sie verwandelte sich in ein schauerliches Skelett, das man zerstieß und verschwinden ließ, nachdem man sie vernichtet hatte. Schweißbedeckt und am ganzen Leib zitternd, wachte ich auf und ging auf die Toilette, wo ich mich lange

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