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Klippen

Klippen

Titel: Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Adam
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um mich davon abzuhalten, fremden Frauen nachzugehen, die ich für sie hielt.
    Paris strotzte von Trugbildern und flüchtigen Erscheinungen an Straßenecken, im Schatten eines Torbogens oder in spiegelnden Schaufenstern. Paris wimmelte von Doppelgängerinnen meiner Mutter. Von unauffälligen und blassen, dünnen und blonden Frauen, die über das Trottoir oder zwischen Autos hindurch hasteten und im Metroeingang, in einer Hotelhalle oder der mit einem Eingangscode versehenen Tür eines herrschaftlichen Stadthauses verschwanden. Seltsamerweise handelte es sich fast immer um elegante, geheimnisvolle Frauen. Ich hörte unter den Arkaden des Louvre ihre Absätze klappern, trat in die Spuren, die ihre Schritte im Sand der Tuilerien hinterließen, klebte auf den Pflastersteinen der Place Saint-Sulpice, in der Frische der sommerlichen Springbrunnen, an ihrem Schatten. Ich setzte mich in den Kinos von Montparnasse in ihre Nähe, streifte an den Ständen der Bouquinisten auf dem Quai des Grands-Augustins ihre Hände oder Handgelenke. Ich starrte auf Caféterrassen ihre Rücken an, sie nippten auf dem Boulevard Saint-Germain, in der Rue de Buci, der Rue de Seine oder auf der Place de l’Odéon an einem Rauchtee, einem Martini, einem Glas Pouilly. Ich atmete in der zwischen Anvers und Belleville oberirdisch fahrenden Metro ihr Parfüm ein, bevor sie ausstiegen und ein verwittertes Haus in der Rue Julien-Lacroix betraten, einen Katzensprung vom Park hoch über der Stadt entfernt, wo sich der Himmel dehnte, so weit das Auge reichte. Ich begegnete ihnen auch an der Rezeption des Hotels, in dem ich Nachtdienst machte, in der Rue de la Lune, gleich hinter dem Quartier Strasbourg-Saint-Denis. Sie tauchten gegen Mitternacht auf trugen schwarze Mäntel, Schals, Lacklederhandtaschen. Sie kamen im Schlepptau von Kerlen, die durch die Bank zwielichtig, groß und wortkarg waren und sie versteckten, und während mir die Frauen den Rücken zukehrten und sich eine Zigarette anzündeten, händigte ich gegen einen Geldschein den Schlüssel zu einem Zimmer ohne jeden Komfort aus. Sie verschwanden auf der Treppe, ohne dass ich ihr Gesicht gesehen hatte. Mit klopfendem Herzen goss ich mir noch einen Kaffee ein und überlegte, was meine Mutter wohl mit diesen Männern trieb, ich malte mir ihr heimliches Leben aus. Nachts kamen die Frauen wieder herunter, schlüpften vor meinem Büro in ihre Pumps und lächelten mir beim Aufrichten zu. Natürlich war keine von ihnen meine Mutter, wie auch? Die Nacht verging unfassbar langsam. Ich döste im Sitzen und warf ab und zu einen Blick auf den winzigen Fernseher, in dem sich Tiere balgten. Manchmal machte ich auch ein paar Notizen oder überarbeitete ein Kapitel, aber dabei blieb ich stets in einem Schwebezustand, in einer Art Wachtraum, in dem ich meine Mutter zu sehen glaubte, in dem ich mir wider jede Vernunft vorstellte, sie könnte noch am Leben sein und eines Nachts in einem schäbigen Hotel am Arm eines Liebhabers erscheinen.
     
    Eines Tages im März sah ich sie wieder, sie ging in den Alleen des Parc Monceau vor mir. Sie trug einen wadenlangen roten Mantel, ähnlich dem, den sie vor so vielen Jahren getragen hatte, als sie einen anderen Park durchquerte und wir im Auto am Tor auf sie warteten. Mehrmals blieb sie stehen, um einen Baum, ein Karussell, ein Blumenbeet oder zwei artige kleine Mädchen in marineblauen Kleidchen anzusehen. Ich trat näher, das Parfüm war das gleiche, der Mantel abgewetzt, als hätte sie ihn seit nunmehr fast fünfzehn Jahren nicht ausgezogen. Goldenes Licht streichelte die makellosen Rasenflächen, eine frühlingshafte Stimmung lag über Paris, und mir sprang das Herz aus der Brust. Sie stieg in die Metro, die zur Porte Dauphine fuhr, und wir standen uns im Wagen gegenüber. Es war Stoßzeit, wir waren so dicht gedrängt, dass sich unsere Gesichter fast berührten. Versehentlich streifte ich ihre Hand. Traurig lächelte sie mich an, um mir klarzumachen, dass es nicht weiter schlimm war. Natürlich war sie ein wenig gealtert, aber sie war es, zumindest redete ich es mir damals ein. In ihren Augenwinkeln zeichneten sich sternförmige Fältchen ab. Ihre Mundwinkel hingen leicht herab. Sie war immer noch genauso dünn, fast durchscheinend, aber von ihr ging eine neue Gelassenheit, ja, Gelöstheit aus. Mir schwirrte der Kopf, in meinen Schläfen pochte das Blut, und meine Beine waren wachsweich. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken, es war ein einziges Durcheinander,

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