Klondike
Cricket und die Verpflichtung der Engländer, die Welt zusammenzuhalten, vorausgesetzt, sie konnten sich auf die gelegentliche Unterstützung der Deutschen und Russen verlassen. Von Frankreich hatte er keine hohe Meinung, und die Vereinigten Staaten verachtete er geradezu. »Sie besitzen nicht eine der Tugenden, über die wir uns unterhalten haben«, erklärte er Blythe.
Am Tage, wenn das Boot langsam dahinglitt, erlebten die Passagiere die trostlose Einförmigkeit der Landschaft in diesem Teil Kanadas, einer Landschaft, die durch Wiederholung gekennzeichnet war ohne jegliche das Auge des Betrachters versöhnenden Merkmale: gleichmäßige Hügel, ausgedehnte reizlose Wälder, übelriechende Wassertümpel. »Nicht mal Forellenbäche, die ich so liebe«, bemerkte Luton, als die bedrückende Landschaft kein Ende nehmen wollte. Tagelang ließ sich keinerlei Anzeichen von Veränderung beobachten. Als sie schließlich am 2. September den Slave River erreichten, war die Langeweile vorbei, und die wirklichen Probleme begannen, denn dieser an sich nur kurze Fluß enthielt übermäßig viele Stromschnellen, manche schwierig zu durchfahren, andere so undurchdringlich, daß die »Afton« getragen werden mußte. Die Tage schienen vergeudet, außerdem wurden sie kürzer, ein deutlicher und ebenso nüchterner Hinweis darauf, daß der Winter im Vormarsch war.
Wenig später jedoch sollten sie vor Schwierigkeiten von solchem Ausmaß stehen, daß diese kleinen Ärgernisse rasch vergessen werden konnten.
Der Great Slave Lake, ein Name, den die Engländer, nicht vertraut mit den Gegebenheiten Nordkanadas, noch nie gehört hatten, war riesig, in seiner Ausdehnung noch größer als die beiden bekannteren Seen - Erie und Ontario -, und als die »Sweet Afton« munter in das Gewässer einlief, hatten sich die Passagiere auf eine unbeschwerte Segelfahrt von einem, vielleicht auch zwei Tagen eingerichtet, denn der Karte nach brauchten sie nur das südliche Ufer entlangzusegeln. »Wir werden den See gar nicht richtig zu Gesicht bekommen«, er-öffnete Luton seinen Männern, »was wirklich schade ist, denn er sieht doch nach was aus, findet ihr nicht?«
Sechs bange Tage verbrachten sie jedoch auf dem ungeheuren See, legten hundertzwanzig Meilen zurück, hielten sich immer nahe am Ufer und krochen im Schrittempo dahin, wenn unerwartet Stürme aus dem Nordwesten Wellen hochpeitschten, wie man sie sonst nur auf dem Ozean erlebte. Das Navigieren wurde so gefahrvoll, daß nur noch Luton und Carpenter ans
Steuer durften, und oft mußten sie mit eingerollten Segeln in kleinen Buchten oder hinter einer Landzunge Schutz suchen.
Eines Nachmittags, als Luton gerade die Führung des Bootes übernommen hatte, hörte er Carpenter von vorne brüllen: »Evelyn! Um Gottes willen!« Und schon brach über ihnen eine riesige Welle zusammen, die alles unter sich begrub. Die Mannschaft machte sich sofort ans Wasserschöpfen, sechs häßliche Minuten lang schlingerte und stampfte die »Afton«, jeder schnappte sich ein Gefäß, was er gerade in die Hände kriegen konnte, aber Lord Luton verlor die Ruhe nicht, und wenig später war das Schiff wieder aufgerichtet.
Sie waren ordentlich durchgeschüttelt worden, so daß alle gemeinsam den Entschluß faßten, hinter einem Landvorsprung erst einmal in Deckung zu gehen, und als der Abend anbrach, fanden sie auch eine Bucht, die hinter einer dünnen Baumreihe Schutz bot. Als sie auf das Ufer zuhielten, entdeckten sie ein zweites Boot, das weniger Glück gehabt hatte als sie, der Sturm hatte es zum Sinken gebracht und das Wrack gnadenlos auf die Felsen geschleudert.
»Von denen hat keiner überlebt«, sagte Luton, den traurigen Anblick in sich aufnehmend, doch beim Näherkommen sahen sie eine einsame Gestalt neben dem Wrack stehen, wild gestikulierend, und als der Kiel der »Afton« auf Grund lief, rief Philip voll Freude: »Das ist ja das Mädchen aus Dakota!«, sprang an Land und lief auf sie zu, die in völlig durchnäßter Kleidung zitternd dastand. Gänzlich aufgelöst, erkannte sie ihn nicht einmal, aber begriff instinktiv, daß er gekommen war, sie zu retten, und warf sich in seine Arme.
Erst als Lord Luton sie sanft fortführte, fing sie unter Schluchzen an, von der Katastrophe zu erzählen, die ihr Schiff vernichtet hatte. »Vor zwei Tagen ... ein schrecklicher Sturm ... Steno führte uns heil durch, aber wir wußten nicht . als das Boot auseinanderbrach, war der erste Befehl: ›Rettet Irina.‹ Und sie
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