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Klondike

Titel: Klondike Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Michener
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auswendig, und manchmal saß er da mit geschlossenen Augen, das Licht auf seinem flachsblonden Haar, und rezitierte Gedichte, von denen die anderen nur Teile kannten. Dann hallte im Raum jedesmal die herrliche Musik der romantischen Sprache wider. Einmal, es war ein sehr kalter Abend, der Boden schien unter dem Gewicht des Eises förmlich zu beben, nicht eine Bewegung war zu spüren, kein Lüftchen wehte, kein Atem, kein Windhauch, hielt er ein Buch auf dem Schoß aufgeschlagen und fing an, ohne einen Blick auf die Seiten zu werfen, die Verse von Keats zu rezitieren, die er besonders liebte:
    »Sankt-Agnes-Abend - Ach, bitt’re Kälte war’s!
    Die Ente selbst, trotz ihres Federkleides fror,
    Ein Hase, leise zitternd, durchs starre Gras gestapft,
    Und schweigend stand die Herde in wollig-wohl’ger Eintracht«
    Die ersten vierzig Zeilen sagte er aus dem Gedächtnis auf, dann, ohne den Rhythmus zu unterbrechen, senkte er den Blick ins Buch, aber immer wenn er zu einem Abschnitt kam, den er auswendig konnte, schloß er die Augen wieder und füllte die Nachtluft mit jenen gigantischen Bildern, die Keats einst zu Papier gebracht hatte.
    Als sich Blythe dem Ende näherte, dem wunderschönen Vers über den langen Teppichläufer, der den zugigen Flur deckte, konnten seine Zuhörer mit eigenen Augen sehen, wie die Liebenden entflohen und der betrunkene Pförtner ausgestreckt neben dem Gatter lag. Sie hörten das Knarren der Tür und das Aufstöhnen der Soldaten in ihren Alpträumen. Das war die wahre Macht der Poesie: Leblose Worte schufen lebendige
    Erfahrungen, und die kleine Hütte war erfüllt von ihrem Zauber.
    An den Abenden, an denen Philip die Verantwortung für die Tutorien hatte, wie Luton diese Sitzungen titulierte, konnte er weder mit der Klugheit noch mit der Erfahrung der ihm an Alter überlegenen konkurrieren, und zunächst widerstrebte es ihm, auch einen Versuch zu unternehmen, bis sein Onkel ihm ins Gewissen redete: »Wenn du einer von uns sein willst, dann mußt du auch mit ganzer Seele dabeisein«, worauf Philip, befürchtend, er würde sich doch nur blamieren, die Kurse wiederholte, die er in Eton besucht hatte. Er war überdurchschnittlich begabt in Geometrie, und so fing er an, den Männern Nachhilfe in diesem exakten und herrlichen Gegenstand zu geben, bis Luton ihn unterbrach: »Faszinierend, ehrlich, und wir könnten von deinem Wissen profitieren, aber mit deinen Diagrammen brauchst du unseren ganzen Papiervorrat auf.«
    Philip hatte mittlerweile an Selbstvertrauen gewonnen, und da man ihm sein Lieblingsthema entzogen hatte, ging er zu griechischer Mythologie über und von da zu der Art und Weise, mit der Karl der Große es verstanden hatte, sein Reich zu errichten und es anschließend unter seine Söhne aufzuteilen. Die älteren Männer hörten aufmerksam zu, glücklich, sich erneut mit Themen vertraut zu machen, die sie selbst vor einem guten Jahrzehnt studiert hatten.
    Die Tagesstunden, extrem kurz in diesen Breitengraden, verbrachten sie mit Außenaktivitäten - Laufen, Jagen, Holzhacken -, wenn die Temperatur es erlaubte, aber wenn das Thermometer bis zu minus fünfzig Grad rutschte, blieben alle drinnen, rückten noch näher ans Feuer, um mehr von der Wärme abzubekommen. Dann dauerten die Nächte vierundzwanzig Stunden, und die regelmäßigen Gesprächsrunden unter dem flackernden Licht wurden zu einer geschätzten Einrichtung. Die Tutorien währten schon über einen Monat, bevor Luton auf die Idee kam, Fogarty als Dozenten mit einzubeziehen. »Fogarty, wenn wir Sie bitten würden, vor unserem Kolleg über ein Thema zu sprechen, auf dem Sie eine Kapazität sind, was wäre das dann für ein Thema?«
    Der Ire runzelte die Stirn, biß sich auf die Lippe und schaute fast flehentlich jeden einzelnen Zuhörer seines Publikums an. »Ich könnte über Pferde sprechen, aber Sie sind Gentlemen und wissen das meiste schon, was ich Ihnen erzählen könnte.«
    »Überlegen Sie weiter«, bedrängte ihn Carpenter. »Man kann nie genug wissen.«
    Die Aufmunterung ignorierend, sagte Fogarty: »Aber ich möchte bezweifeln, daß Sie viel über Wildern wissen.«
    »Meinen Sie echtes Wildern?« fragte Philip ungläubig, worauf Fogarty wiederholte: »Ja, echtes Wildern.« Und unverzüglich stürzte er sich in eine detaillierte Beschreibung darüber, wie ein meisterhafter Fisch- und Wilddieb bei seiner Arbeit vor sich ging. »Wohlgemerkt, ich war nicht schlecht darin, ab und zu ein Kaninchen abzuschießen. Nicht

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