Klondike
genauer nachgeprüft hatte, rief er: »Harry! Sieh dir diese fürchterliche Schweinerei an!« Und als Carpenter sich hinunterbeugte, pfiff er leise durch die Zähne: »Noch eine Woche, und wir hätten den linken Fuß amputieren müssen.«
Die anderen scharten sich um ihn, und es bot sich ihnen ein schauerlicher Anblick: Die Haut war von einem fahlen Weiß, zwischen den Zehen schälte sie sich ab, und am Knöchel ließ sich weder der Pulsschlag noch die geringste Blutzirkulation erahnen. Und trotz der Tatsache, daß die Füße bereits mehrere Minuten der Wärme der Hütte ausgesetzt gewesen waren, waren sie noch immer erschreckend kalt.
Niemanden jedoch ergriff Panik. Carpenter meinte, die Füße noch einmal genau untersuchend: »Sie können gerettet werden. Keine Frage, Philip, sie lassen sich retten. Ich habe selbst gesehen, wie es gemacht wird.«
Lord Luton allerdings sprach ein strenges Verbot aus: »Du wirst deine Stiefel in diesem Winter nicht noch einmal anziehen. Du hast auch ein schweres Paar Schuhe, und dünne Socken für die Füße haben wir auch noch übrig.« Angewidert wendete er sich ab, drehte sich dann aber ruckartig um und sagte: »Harry, Trevor, ihr werdet seine Füße jeden Abend untersuchen, um sicherzugehen, daß sie heilen. Mein Magen reagiert überempfindlich, wenn ich mit ansehen muß, wie ein Bein amputiert wird, besonders wenn es das Bein eines jungen Mannes ist, aber ich werde selbst mit Hand anlegen, wenn es sein muß.«
Indem sie Henslows Füße erst in sehr kaltes, dann in kühles und schließlich in warmes Wasser badeten, wurde eine Heilung erzielt, und alles wäre gut gewesen, wenn Philip nicht einen abschließenden unglücklichen Kommentar zu der ganzen scheußlichen Angelegenheit abgegeben hätte. »Und Irina hat mich noch wegen der Stiefel gewarnt.«
Das war mehr, als Luton ertragen konnte! Er funkelte seinen Neffen böse an und donnerte los: »Sie hat dich gewarnt? Verdammt noch mal, ich war es, der dich gewarnt hat, Harry hat dich gewarnt, und ich habe gehört, wie auch Fogarty dich gewarnt hat: Kaufen Sie sich keine modischen Gummistiefel für die Arktis! Aber du wolltest ja nicht auf uns hören. Da mußte erst sie daherkommen.« Mittlerweile brüllte er regelrecht, aber als er erneut ansetzte: »Wehe dir ...«, gewann er die Selbstbeherrschung wieder, und tief beschämt über sich, fiel er zurück in seinen üblichen leisen Tonfall: »Nimm ihren Namen nicht noch einmal in den Mund, Philip. Er ist eine Beleidigung für mein Ohr.«
Als Führer der Expedition war Luton der Ansicht, er müsse mit gutem Beispiel vorangehen und sich täglich rasieren, obwohl das erhebliche Anstrengungen, ja sogar Unbequemlichkeiten mit sich brachte. Fogarty, als er sah, wie er sich abmühte, sagte eines Morgens: »Milord, ich könnte Ihre Klinge auch etwas schärfen.« Luton entgegnete: »Sie sind hier nicht als mein Diener.« Doch als er gleichzeitig vor Schmerzen aufheulte, beharrte Fogarty: »Tragen Sie mehr Schaum auf, Milord, und geben Sie mir das Messer.« Während Luton sich einseifte, zog Fogarty die Klinge ab. Von da an widmete er sich an drei Morgen in der Woche der Rasierklinge, was er nicht als Diener, sondern als Freund tat, und er nickte zustimmend, als Luton zu den anderen sagte: »Man kann es schon mal überkriegen in so einer Lage. Aber die richtige Einstellung zu den kleinen Annehmlichkeiten des Lebens ist wesentlich für die Moral.«
Die Männer beachteten weiter die Regel, ihr Wasser nur auf der Latrine abzuschlagen, und am Anfang achteten sie sorgfältig darauf, sich jeden Tag zu rasieren, aber die Langwierigkeit der Prozedur, da die Temperaturen so niedrig und der nötige
Platz dafür so beengt war, verleitete erst den einen, dann den anderen dazu, auf die tägliche Rasur zu verzichten, und wenn ein Bart erst einmal richtig angefangen hatte zu sprießen, wurden alle Versuche, ihn abzuschneiden aufgegeben. Im Januar trugen alle außer Luton einen ausgewachsenen Bart, der bei den abendlichen Sitzungen mit Hilfe einer Schere vor einem der Lagerspiegel gestutzt wurde. Es war nichts Ungewöhnliches, einen Mann im Schein der Laterne bei der Bartpflege zu sehen, während Carpenter aus »Große Erwartungen« vorlas, die er auf Bitte seiner Kameraden zum zweitenmal vortrug.
Wenn Lord Luton seine Runden lief oder mit irgendeiner anderen Tätigkeit draußen allein beschäftigt war, wenn er des Nachts grübelte, nachdem Harry sein Pensum aus dem Roman von Thackeray hinter sich
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