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Klondike

Titel: Klondike Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Michener
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gigantischer Eisberg den Fluß hinuntergedonnert kam, in seinen Eiswänden eingefroren eine ganze Anzahl ineinander verschlungener immergrüner Bäume, die er einem Berghang, achthundert Meilen entfernt, entrissen hatte.
    Er rückte näher und näher, »ein gefrorener Wald«, wie Trevor befand, als er versuchte, sich vorzustellen, welche Reise die Bäume hinter sich hatten. »In dem Eisberg stecken bestimmt tausend Vogelnester, und wenn die Vögel zurückkommen und ihr Gelege suchen, muß der Vermieter ihnen leider mitteilen: Wir sind mit ihnen an die Küste des Polarmeers umgezogen. Fliegt weiter Richtung Norden.«
    Über eine Stunde schauten die beiden zu, wie ganze Wälder an ihnen vorbeirauschten, dann wurden sie von Carpenter abgelenkt, der rief: »Seht mal, wer da kommt, uns zu begrüßen!« Und alle drehten sich um und sahen, was der vergleichsweise harmlose Gravel zustande bringen konnte: ein riesiger Eisblock, der mit gefährlicher Geschwindigkeit den Fluß hinuntergerollt kam. Er brauste an ihnen vorbei, fegte mit furchtbarer Gewalt über die Stelle hinweg, wo ihr Winterquartier ursprünglich gestanden hatte, und offenbarte eine derart zermalmende Kraft, daß Schiff und Hütte gnadenlos zerdrückt worden wären.
    Keiner, der die völlige Auslöschung ihres ersten Areals und ihrer ersten Fluchtburg vor diesem Wintergefängnis erlebte, konnte sich des Gedankens erwehren: »Mein Gott! Wenn wir an der Stelle geblieben wären!« Und alle erinnerten sich an George Michaels berechtigte Frage: »Was würden Sie tun, wenn Sie Ihr Schiff verlieren würden?« Es war Carpenter, der ihre Reaktion in Worte faßte: »Wir können Gott danken, daß Evelyn nach Fort Norman gegangen ist und diesen Mestizen mitgebracht hat. Wir sind einer furchtbaren Falle entkommen.«
    Plötzlich brüllte Philip: »Seht euch den an!« Und den Gravel hinunter, dieses schmale Flüßchen, kam ein neuer Eisblock, gewaltig wie die auf dem Mackenzie, bahnte sich auf so seltsame Weise seinen Weg, daß er in das rechte Ufer einbrach, der Stelle gegenüber, wo die Zuschauer standen, sich tief in die Böschung bohrte und ein stattliches Stück herausstach, vier Bäume zurücklassend, deren Wurzeln nun freilagen, so daß Stämme und Astwerk, parallel zum Boden, weit über die Wasserfläche rausragten.
    Carpenter, der dieses Phänomen bereits in Afrika beobachtet hatte, warnte seine Kameraden: »Außerordentlich gefährlich, so was. Werden auch Sweeper genannt.«
    »Wieso?« wollte Philip wissen, und Harry erklärte: »Wenn man diesen Fluß abwärts fährt, im offenen Boot - was sollte man auf so einem Wasserlauf auch sonst benutzen -, besteht schnell die Gefahr, daß man leichtsinnig wird, und wenn diese Äste aus dem Wasser ragen, fegen sie dich glatt von Bord. Die Strömung ist so stark, daß man sofort abgetrieben wird und nicht mehr ins Boot zurückklettern kann. Bei Sweepers heißt es aufpassen.«
    An einem Abend dieser Wartezeit war wieder einmal Trevor Blythe an der Reihe, das Seminar zu leiten, und da die Beendigung ihrer Gefangenschaft kurz bevorstand, erteilte er ihnen eine ebenso überraschende wie lehrreiche Lektion.
    »Unter meiner Ägide, fürchte ich, haben wir viel über Poesie gesprochen, und wir haben oft auf die originellen Zeilen hingewiesen, mit denen Gedichte anfangen. Zum Beispiel ›Mein Liebster hat mein Herz, und ich hab’ seines‹ oder ›Wüßt’ ich, Neigung, wes du seist‹. Solche Zeilen sind Schlüssel, die freundliche Erinnerungen freisetzen, und sie müssen nicht einmal besonders schön als Gedichtzeilen sein. Sie sind dazu da, den Leser an etwas zu erinnern.
    Während wir uns den Fluß hinabtreiben ließen, hat mich immer dieses wohlgeformte Zeilenpaar verfolgt: ›Ihr Seefahrer Englands, Hüter unserer Meere! ...‹ Seitdem wir Athabaska Landing verlassen haben, fühle ich mich als einer dieser Seefahrer.« Er lachte kurz auf, es war ein Lachen über sich selbst, und zitierte noch ein paar mehr solcher wirkungsvollen Anfangszeilen: »›Es ist ein sanfter Abend, frei und schön‹ - oder diese hier: ›Wie oft in stiller Nacht‹.«
    Auf einmal änderte sich sein Tonfall: »Ich bin zu der Überzeugung gelangt, daß die letzten Zeilen eines kunstvollen Gedichts genauso wichtig sind wie die ersten. Ein gelungener Einstieg reizt uns, aber erst ein starker Schluß rundet das Erlebnis ab.« Jetzt mußte er doch den Palgrave wieder zur Hand nehmen, denn selbst ihm waren die guten Schlüsse nicht so geläufig wie die

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