Klondike
aus: »Helft mir!«
Jeder auf dem Boot hörte ihn, und jeder sollte ihn noch in vielen schlaflosen Nächten hören, monatelang, aber sie waren machtlos. Trevor Blythe setzte zu einem Sprung ins Wasser an, wurde aber von Harry Carpenter, der nicht noch einen zweiten aus seiner Mannschaft verlieren wollte, davon abgehalten. Allerdings konnte er nicht verhindern, daß sich Lord Luton in voller Montur in das eisige Wasser warf. Eine vergebliche Geste. Luton kam nicht einmal in die Nähe seines ertrinkenden Neffen, als der Junge mit einem letzten furchtbaren Schrei für immer untertauchte.
Nachdem die drei Männer auf dem Boot Luton wieder an Bord gezogen hatten, warfen sie ihm eine Decke um und setzten sich neben ihn, während die »Sweet Afton« weiter zügig auf dem Wellenkamm des Flusses dahineilte. »Du hast dein Bestes getan«, sagte Carpenter, und Fogarty fügte hinzu: »Keine Macht der Welt hätte ihn retten können, Milord. Sie haben es versucht.« Blythe dagegen, im Heck des Bootes, blieb nichts, als mit brennenden Augen auf die finsteren Fluten hinter sich zu blicken, die ihm seinen Freund fortgerissen hatten. Trevor verharrte dort, bis sich die Abenddämmerung des Frühlingstages, die ewig zu währen schien, über ihn senkte.
Während die »Sweet Afton« ihre Fahrt den Mackenzie hinunter fortsetzte, wurde den vier Überlebenden schmerzlich bewußt, daß das Boot sie mit jeder Meile, die sie auf ihm zurücklegten, weiter vom Klondike wegführte. Es war zum Verrücktwerden, doch es war nicht zu vermeiden, den großen Fluß hinunterzutreiben und ihm zuzubilligen, daß er sie von ihrem Ziel entfernte, denn das war die Eigenart des Mackenzie: Der Flußfahrer war gezwungen, bis zum bitteren Ende auszuhalten.
Harry erwischte Trevor, der still vor sich hin schrieb, wie er es in den Wintermonaten am Ufer des Gravel so oft getan hatte.
Mit einem freundlich dahingeworfenen »Wollen wir doch mal sehen« nahm er das Notizbuch auf, und was er zu lesen bekam, gefiel ihm so sehr, daß er mit Lob nicht sparte. »Sieh einer an. Trevor, ich glaube, jetzt hast du es raus.« Er trommelte die Mannschaft zusammen und las etwa ein Dutzend Zeilen laut vor, die mit der zynischen Bemerkung endeten: »Wir fahrende Ritter, wider Willen, den Goldenen Gral zu suchen - und fliehen doch vor ihm.«
Als er die Aufzeichnungen dem Autor zurückgab, meinte er: »Siehst du jetzt ein, daß es viel besser ist, seine Worte zu verdichten und Bilder einzubauen, für die wir empfänglich sind?« Doch Trevor verfiel in Schweigen, denn er hatte nur den Wunsch, sein Freund Philip wäre noch am Leben und könnte dieses ermutigende Urteil seines ersten reifen Gedichts mit ihm teilen.
Kurz nach der Dämmerung des darauffolgenden Tages erblickte Lord Luton von seinem Posten im Bug aus Fort Norman, und ohne die anderen zu alarmieren, feuerte er zwei Schuß in die frische Morgenluft. Der Widerhall ließ die Kanadier vor die Tür ihrer Hütte treten, wo sie gespannt warteten, aber der Mestize, George Michael, erkannte das Boot und seine Insassen wieder, sprang die Treppe hinunter und rief: »Duke! Duke! Werfen Sie ein Tau rüber.« Die »Sweet Afton« fest im Griff, zog er sie näher zu sich heran, während die Kanadier jetzt ebenfalls die Treppe heruntereilten, um die Engländer zu begrüßen und ihre Bekanntschaft mit Luton zu erneuern, an den sie sich mit Respekt erinnerten.
Als alle im Eßzimmer der Handelsniederlassung Platz genommen hatten, eröffnete Lord Luton die kleine Versammlung mit dem Bekenntnis: »Liebe Freunde, ich möchte, daß Sie eins wissen: Wenn Ihr Gefährte, George Michael, mich das letzte-mal nicht bis zu unserem Lager begleitet hätte, wären wir sicher alle umgekommen.« Die Kanadier sahen ihn fragend an, und er erklärte weiter: »Er hat uns geraten, unsere Hütte und das Boot an eine höhergelegene Stelle zu verlegen ... damit sie an dem Tag, wenn die Eisschollen den Fluß hinunterdonnern und sich an Land aufeinandertürmen, nicht erdrückt würden. Er hat uns nicht nur gewarnt, er hat uns auch bei dem Umzug geholfen und uns so das Leben gerettet.«
Als die Engländer ihrem Retter zunickten, musterte er jeden genau und fragte dann: »Der eine junge Mann mit den blonden Haaren? Haben Sie ihn zurückgelassen?«
Langsam und mit sichtlichem Kummer erzählte Luton den Angestellten der Hudson’s Bay Company eine Geschichte, die ihnen seit Jahren vertraut war: »Im Mackenzie ertrunken. Eine Astgabel hat ihn mitten im Rücken
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