Klondike
poetischen Anfänge berühmter Verse. Eine Zeile des blinden Milton erachtete er für tadellos: »Die dienen auch, die nichts als stehn und harren.« Als junger Verliebter, ein Zustand, den er bislang niemandem offenbart hatte, schätzte er auch diese Zeile: »Nie liebt’ ich dich so heiß, mein Lieb, liebt’ ich nicht Ehre mehr!«
Er erstaunte seine Zuhörer, als er den abrupten, schroffen Schluß von einem von Shakespeares wunderschönsten Gedichten pries. »Es hat natürlich schon einen perfekten Anfang -›Wenn Eis in Zapfen hängt am Dach‹ - und fährt dann mit herrlichen Zeilen fort, die ein Gefühl von Winter hervorrufen, zum Beispiel: ›Die Milch gefriert im Eimer hart‹. Und nachdem die Annehmlichkeiten des Bankettsaals alle aufgezählt sind, schließt er mit dieser bemerkenswerten Zeile, wie nur er sie verfaßt haben kann: ›Derweil die Hanna Würzbier braut‹, um uns daran zu erinnern, daß da noch jemand in der Küche ist, der sich für uns abrackert.«
Damit kam Trevor zum Schluß seines Vortrags. »Was ich eigentlich sagen wollte: Ein wirklicher Dichter hat die letzte Zeile immer schon im Hinterkopf, wenn er die erste notiert, und es gibt kein besseres Beispiel hierfür als die Schlußzeile jenes besonderen Gedichts von Waller, von dessen erster Strophe ich euch schon vor Monaten vorgeschwärmt habe, das Gedicht, das mit den Worten beginnt: ›Geh, Rose! Leis.‹ Weiß noch jemand, wie es endete? Ich weiß es auch nicht mehr, und meinem Gedächtnis will ich lieber nicht trauen.
Im Palgrave ist es die Nummer neunundachtzig, glaube ich.«
In den Seiten blätternd, sagte er: »Denkt daran, was die ersten drei Strophen erzählen. In der ersten wird der Rose befohlen, seine Liebste aufzusuchen. In der zweiten soll sie ihr mitteilen, daß junge Mädchen wie Rosen seien, auf der Welt, um angebetet zu werden. In der dritten soll die Rose ihr befehlen, aus sich herauszutreten, um bewundert zu werden.
Und jetzt der wundervolle letzte Vers:
Dann stirb! Dein Tod Soll zeigen ihr, was jeder Rarität Auf Erden droht:
Wie kurz die Spanne ist, in der besteht Das Wunderschöne, das so bald vergeht.‹«
Eine Weile verharrten die Männer schweigend und hielten sich das Elend des Todes vor Augen, schließlich sagte Lord Luton: »Ein vornehmes Ende für einen so großen Winter.« Er schaute die beiden Jüngeren unter ihnen an und sagte mit lauter Stimme: »Seid ihr euch darüber im klaren, wie kostbar uns dieser Winter erscheinen wird, wenn wir einst auf ihn zurückblicken werden? Philip, Trevor! Ihr werdet Menschen hierüber berichten, die sonst nie im Leben erfahren hätten, daß es einen so majestätischen Fluß wie diesen Gravel überhaupt gibt.« Er lächelte Harry zu und fügte an: »Wir alle werden davon berichten.«
Harry aber erwiderte das Lächeln nicht. Während die anderen freudig Vorbereitungen trafen, sich für ihre triumphale Flußfahrt bis zur Peel-Mündung in den angeschwollenen Mackenzie zu stürzen, konnte er einen bestimmten Abschnitt der Landkarte, an den er sich gut erinnerte, nicht einfach aus dem Gedächtnis streichen. Dieser Abschnitt zeigte, daß, wenn man den Gravel bis zu seinem Oberlauf flußaufwärts fuhr und das Boot über eine vergleichsweise kurze Portage direkt an der Landesgrenze trug, man sich im Oberlauf eines beachtlichen Stroms wiederfand, dem Stewart, der ein wenig mäanderte, aber den Reisenden direkt bis zum Yukon brachte und an einer Stelle absetzte, die weniger als fünfzig Meilen von Dawson City und den Goldfeldern entfernt lag. »Und alles flußabwärts, die ganze Fahrt, sobald man den Stewart erreicht hat«, sagte er sich und war so überzeugt, daß Evelyn genau das Verkehrte tat, wenn sie nun dem Gravel den Rücken kehrten, daß er noch am Morgen ihres Aufbruchs, als das Lager schon abgebrochen war, einen allerletzten Appell an ihn richtete: »Evelyn, du hast die Karten studiert, mehr als irgendeiner von uns. Sicher kannst du dir vorstellen, was für eine vernünftige Sache es wäre, die Verbindung zwischen Gravel und Stewart zu nutzen?«
Luton weigerte sich zuzuhören: »Ich habe tatsächlich die Karten genauestens studiert . kann sie aus dem Kopf aufzeichnen . aber ich habe mir nun mal den Peel River ausgesucht, der uns direkt bis zum Ziel bringt.« Und so machten sich die fünf Männer auf den Weg.
3. Kapitel
Verzweiflung
Am 10. Juni 1898, zehn Monate nachdem sie von Edmonton aufgebrochen waren, war die Gruppe um Lord Luton bereit, ihre Reise zum
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