Klondike
er. »Die Stromschnellen sind sicher auch nicht leicht zu überwinden; wenn kein Uferweg da ist, können wir das Boot nicht ziehen. Und dann diese verflucht hohen Berge zum Schluß. Sieht nicht gerade verheißungsvoll aus, ganz und gar
nicht.«
Immer wenn er jetzt seine täglichen Runden auf der neuen Bahn drehte, fünfzig Fuß höher gelegen als die alte, rechnete er sich für jedes der Hindernisse ihre Aussichten aus, sie gefahrlos zu überwinden. Am Ende einer solchen imaginären Übersicht zählte er traurig die Punkte zusammen: Hindernisse, die uns den Weg versperren - neunzehn Punkte.
Lord Lutons Mannschaft - keinen Punkt. Er sah auch keine Möglichkeit, diese Ungleichheit aus dem Weg zu räumen, es sei denn, Evelyn würde wider Erwarten zur besseren Einsicht gelangen, und manchmal hatte Harry nur einen Gedanken: »Wenn er partout nicht sehen oder hören will, sind wir alle geliefert.«
Dessen war er sich sicher, und doch mochte er seinem Vetter diese Einsicht nicht aufzwingen. Luton war um sechs Jahre jünger und weniger erfahren in derartigen Unternehmungen als er selbst, der ihm sieben oder acht Forschungsreisen voraus hatte. Er war Harry keineswegs überlegen, weder an Intelligenz noch was seine Leistungen an der Universität betraf. Er war couragiert, daran konnte kein Zweifel bestehen, aber er hatte nie im Feuer des Feindes gestanden wie Harry. Und obgleich er moralische Standfestigkeit besaß, was andere als Charakter bezeichneten, war diese bislang nie gefordert gewesen, sich in einem wirklichen Moment der Krise zu behaupten, so wie Harrys Charakter in Indien oder Afrika auf die Probe gestellt worden war.
Angesichts der Tatsache, daß eine Waage, die solche Tugenden in die Schalen warf, zugunsten von Carpenter ausschlagen würde, warum unterwarf er sich dann seinem Vetter?
Weil es in dieser reichen Adelsfamilie Bradcombe seit Urzeiten üblich war, demjenigen bei schwierigen Entscheidungen zu folgen, der das Marquisat innehatte; und so gering die Chance auch war, Harry wußte doch, daß Luton eines Tages durchaus dieser Mann sein konnte. Diese Regel hatte der Familie sehr zum Nutzen gereicht. Auch wenn gelegentlich ein Marquis ein Schwächling gewesen war, die meisten waren es nicht. Und Carpenter wußte, wenn Evelyn noch ein paar Jahre auf dem Buckel hatte, hatte er das Zeug dazu, falls der Titel auf ihn überging, einer der fähigsten in dieser Reihe zu werden. Ihre Expedition zu den kanadischen Goldfeldern konnte zur Bewährung werden, die aus Lord Luton einen ganzen Mann machen würde, im Feuer gestählt, und Harry Carpenter würde ihm bei dieser Bewährungsprobe zur Seite stehen, denn in dieser Hinsicht repräsentierte er, Harry, alle Bradcombes. Ihr Oberhaupt sah sich einer Prüfung gegenüber, und sie standen wie ein Mann zu ihm.
Mit dem Aufziehen wärmeren Wetters im April rechneten die Männer damit, daß die Eisdecke auf dem Mackenzie jeden Tag anfangen würde zu schmelzen, aber es war Blythe, der Unerfahrenste, der feststellte: »Leute! Es ist immer noch zehn Grad unter dem Nullpunkt!« Und Philip entgegnete: »Aber es fühlt sich an wie Sommer.«
Es war tatsächlich so, und der Gedanke, daß ihre Überwinterung bald ein Ende haben würde, spornte die Männer an, Bilanz zu ziehen über das Abenteuer des arktischen Winters, und einzuschätzen, was es für sie bedeutet hatte. Lord Luton persönlich übernahm die zusammenfassende Eintragung in das offizielle Logbuch der Expedition, und er war dicht an der Wahrheit, als er schrieb:
»Wenn ich Rückschau auf dieses herrliche Abenteuer halte, dann muß ich sagen, wir fünf bildeten eine Mannschaft, die die Natur respektierte und den Wunsch hatte, sich in der ganzen Härte eines arktischen Winters zu bewähren. Harry Carpenter besaß Erfahrung im Meistern brenzliger Situationen in unbewohnten Regionen der unterschiedlichsten Klimazonen. Mein Neffe Philip Henslow war ein eifriger Sportler und ein guter Schütze. Sein Freund Trevor Blythe offenbarte ein unheimliches Talent, wilde Raben zu zähmen, was unseres Wissens noch nie vorher versucht worden ist, und selbst unser getreuer Gillie, Fogarty aus Irland, überraschte uns mit seinem unvergleichlichen Wissen über Lachse und ihre Lebensgewohnheiten. Und was mich betrifft: Ich bin in viele ferne Länder gereist, boxe gerne, spiele Cricket und liebe das Sprichwort des Juvenal: Mens sana in corpore sano.
Zu Beginn unseres langen Winterquartiers legten wir ein paar vernünftige und
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