Klondike
Sprache beherrscht, und eine Yankee-Farmerstochter ohne nennenswerten Hintergrund.« Er schüttelte den Kopf, eine Geste der Kapitulation, und murmelte in sich hinein: »Barbaren übernehmen die Welt, während sich die anständigen Menschen wie Bären in Eishöhlen verkriechen.«
Dieser zynische Kommentar sollte jedoch nicht Lord Lutons letzte Einschätzung seiner Expedition nach Dawson bleiben. Er konnte es nicht sein, dazu war er ein zu guter Mensch. Während Irina Kozlok aus seinem Blickfeld verschwand, in ungezwungenem und leichten Schritt mit ihren Begleitern hin-schlenderte, ihre blitzblanke Uniform in der Sonne schimmerte, das Käppi schief auf dem Kopf, stieß er plötzlich einen
Schmerzensschrei aus, der alle anderen, die sich an der Reling versammelt hatten, zu Tode erschreckte; aber er fühlte nicht die geringste Scham, daß er sie auf diese unfeine Weise gestört hatte.
»O mein Gott!« rief er, sein Herz vor Schmerz zerrissen, sein Geist endlich bereit, sich der Wahrheit zu stellen. »Sie hat fünfzehn Wochen für den richtigen Weg gebraucht. Ich verbrachte einhundert auf dem falschen und habe deswegen drei Kameraden verloren.« Er zitterte, noch immer auf die Stelle starrend, die sie soeben verlassen hatte, und wie ein bußfertiger Einsiedler aus dem Mittelalter, verschlossen in seiner Höhle, sein stolzes Haupt am Ende gesenkt, murmelte er: »Gnädiger Gott, mach, daß die Seelen dieser drei wertvollen Männer mir vergeben.«
4. Kapitel
Requiem
Die umsichtigen Biographen des neunten Marquis von Deal, der im Jahre 1909 den Titel übernahm, waren der Ansicht, daß seine unglückselige Expedition an den Klondike trotz allem nicht vergeblich gewesen war:
»Er benötigte 23 Monate, um die 2043 Meilen nach Dawson City zurückzulegen, und blieb doch nur wenige Stunden in der Stadt, aber es war gerade diese lang andauernde und schreckliche Erfahrung, dazu der Verlust von drei Mitgliedern seiner Mannschaft, zu denen auch der einzige Sohn seiner Schwester gehörte, die den Marquis von Deal mit einem Herz aus Eisen wappnete. Als Lloyd George ihn 1916 beschwor, die englische Industrie auf Vordermann zu bringen, damit das Land seine ganze Kraft gegen den deutschen Kaiser aufbieten konnte, war er der am besten geeignete Mann für die Aufgabe, das private Unternehmertum an die Kandare zu nehmen.
Ein blaublütiger Mann von Stand, ein Mensch, der in der Ungestörtheit seines Clubs Lloyd George als ›einen unausstehlichen, kleinen Waliser‹ abtat, ›ganz und gar kein Gentlemanc, derselbe Luton ordnete sich Lloyd Georges Befehlsgewalt unter, wurde einer seiner engsten Vertrauten und wirkte Wunder bei der Zurückschlagung des deutschen Heeres. Bei Verhandlungen mit hartnäckigen Industriellen, die sich bei ihm darüber beklagten, die Schwierigkeiten bei dieser oder jener Maßnahme der Rüstungsproduktion seien einfach nicht zu bewältigen, ließ er nie ein Wort über seine zwei Jahre in der Arktis fallen, statt dessen schaute er seinem Gegenüber in die Augen, setzte ›Evelyns stilles Naserümpfenc auf, wie es allgemein genannt wurde, und stellte bloß die Frage: Schwierigkeiten? Sagten Sie Schwierigkeiten? Haben Sie überhaupt eine Ahnung, was Schwierigkeiten sind?‹ Und da jeder von seinen Erfahrungen in der Arktis wußte, bekam er seinen Willen.
Das allein jedoch war nicht die Eigenschaft, die ihn befähigte, einer der erfolgreichsten Kriegsminister zu werden, denn wie Lloyd George in einem seiner Kabinettsprotokolle bemerkt: ›Der Marquis von Deal kann eine Entscheidung schneller herbeiführen als sonst irgend jemand, den ich kenne, sie mit brillanter Logik verteidigen und sie auch noch bei allen Widersachern durchboxen. Bringt ihm ein Gegner jedoch relevante Fakten bei, die dessen eigene Sache unterstützen, ist Deal bereit, zuzuhören und sich zu revidieren, wobei er mit entwaffnender Freundlichkeit anerkennt: 'Vielleicht habe ich mich ja geirrt.' Als ich ihn einmal fragte: 'Deal, wie in Gottes Namen gelingt es Ihnen, so überzeugend zu wirken, wenn Sie Ihre Entscheidung verkünden, und dann so aufmerksam zuzuhören, wenn der andere Gründe dagegen anführt? Und wie haben Sie sich beigebracht, auf so kultivierte Weise die Waffen zu strecken, wenn sich dessen Argumente als stichhaltiger als die Ihren erweisen?', erhielt ich die rätselhafte Antwort: 'Weil ich in der Arktis gelernt habe, daß es töricht ist, auf einen vorgezeichneten Kurs zu beharren, wenn man im Grunde seines Herzens ahnt, daß man
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